Das deutsche Nationalteam gefällt sich vor dem EM-Endspiel gegen England in seiner Rolle. Die Kapitänin Alexandra Popp macht Scherze mit einem Schnauzer.
Vielleicht ist es ja doch ganz gut, dass die deutsche Delegation so kurz vor dem EM-Finale gegen England (Sonntag, 18 Uhr) aus ihrem Stammquartier im Syon Park in Brentford auf Anweisung der UEFA vertrieben worden ist. Ein Gutes hat der angeordnete Umzug nach Watford in die Grafschaft Hertfordshire: Der Tapetenwechsel in eine kitschige Adelskulisse weit weg von der pulsierenden Großstadt setzt noch mal neue Reize.
Gute Laune herrschte am Freitag, als Alexandra Popp mit aufgeklebtem Schnauzbart und umgedrehter Baseball-Kappe zur Pressekonferenz erschien - ein Satire-Magazin und Internet-Portal hatten die Torjägerin so abgebildet und empfohlen, "Alexander Bopp" solle auch zur Männer-WM. Die sechsfache EM-Torschützin nahm den Ball spaßeshalber auf.
Im EM-Finale am Sonntag zwischen England und Deutschland treffen auch die beiden besten Spielerinnen des Turniers aufeinander: die Torjägerinnen Alexandra Popp und Beth Mead.
Empfang am Frankfurter Römer am Montag
"Wir haben beim Frühstück rumgescherzt und gesagt, dass wir das durchziehen", berichtete die 31-Jährige. Man habe schließlich "gute Physios mit Kinesiotape, daraus habe ich mir schnell einen Schnäuzer geschnitten". Niemand müsse aber befürchten, dass sie jetzt auch bei der Männer-WM in Katar mitstürmen werde. Da müsse sie schließlich Champions League spielen: mit den Frauen des VfL Wolfsburg.
Popps Einlage machte deutlich, wie gut die Stimmung immer noch ist beim Rekordeuropameister, dessen Auftritt auch Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag auf der Ehrentribüne verfolgen wird. Gefeiert wird am Tag danach so oder so: Der Empfang am Frankfurter Römer kommt am Montag unabhängig davon zustande, ob die deutschen Fußballerinnen im neunten EM-Finale auch das neunte Mal gewinnen.
2009 ging England gegen Deutschland unter
Titel Nummer sieben gab es 2009 in Helsinki, als die heute als Sportpsychologin hinter dem Team arbeitende Birgit Prinz beim 6:2 im Endspiel gegen England zweimal traf. Genau wie die damalige EM-Torschützenkönigin Inka Grings, ehemalige Lebensgefährtin der heutigen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, die da bereits lange ihre aktive Karriere beendet hatte.
Die 54-Jährige speist ihre Zuversicht eher aus dem 9. November 2019, als ihr Team zu einem prestigeträchtigen Freundschaftsspiel in Wembley gegen England eingeladen war - und erst Merle Frohms mit einem gehaltenen Elfmeter und dann Klara Bühl mit einem späten Siegtor den Party-Crasher für 77.768 Augenzeugen spielte. "Da erinnere ich mich gern dran", sagt die deutsche Torhüterin, die öffentlich wie befreit rüberkommt.
Drei Spielerinnen sind schon Europameister
Die deutschen Fußballerinnen haben trotz ihrer imposanten Endspielbilanz nicht so viel zu verlieren, es sei denn sie würden überrollt wie Norwegen (0:8) in der Vorrunde oder Schweden (0:4) im Halbfinale. Aber dagegen wird schon Kapitänin Popp vorgehen, die viel Widerstand versprach:
Ihre ebenfalls mit Weltklasseleistungen am Fließband aufwartende Mannschaftskollegin Lena Oberdorf findet es mit 20 Jahren höchst motivierend, "wenn das ganze Stadion gegen dich ist, dich am besten noch ausbuht."
Aus dem aktuellen Kader haben 2013 allein Almuth Schult, Sara Däbritz und Svenja Huth eine EM gewonnen. Entscheidend wird sein, dass die DFB-Frauen als die neuen Lieblinge der Nation wieder mit riesiger Defensivlust ans Werk gehen. Bitter wäre es nur, sollte die angeschlagene Marina Hegering wirklich ausfallen, die am Freitag auf der Anlage vom "The Grove" nur eingeschränkt trainierte. Sie würde durch Sara Doorsoun ersetzt, die schon im Halbfinale gegen Frankreich (2:1) in der Schlussphase kam.
Auf Vereinsebene gab es gerade wichtige Erfolge
Es braucht eine gewisse Robustheit, um dem Powerstil der seit 19 Länderspielen ungeschlagenen Engländerinnen zu trotzen. Das DFB-Team hat aber nicht nur 21 von 27 Länderspielen gewonnen: Der den stärksten Block der Nationalmannschaft bildende Doublesieger VfL Wolfsburg warf in der Women’s Champions League erst den englischen Champion Chelsea FC (4:0, 3:3) in der Gruppenphase raus, dann im Viertelfinale den Vizemeister Arsenal WFC (1:1, 2:0).
Die spielerischen Vorteile der deutschen Nationalspielerinnen waren unter dem Strich offenkundig. Unbezähmbar sind die englischen Löwinnen also nicht, auch wenn sie von der überwiegenden Mehrheit der erwarteten 87.000 zum ersten großen Fußball-Titel seit 1966 gebrüllt werden sollen.