Fußball-EM der Frauen 2022:DFB-Gegner Spanien: Vorbild auf vielen Ebenen
von Frank Hellmann, London
12.07.2022 | 09:26
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Der spanische Frauenfußball hat enorme Fortschritte gemacht und längst die Grundlagen gelegt, um vielleicht mal so dominant zu sein wie die Männer in ihrer besten Phase.
Spaniens Frauen feiern EM-Auftaktsieg
Quelle: epa
Jorge Vilda ist eigentlich kein Mann der lauten Töne. Der Nationaltrainer der spanischen Fußballerinnen pflegt gewöhnlich eine zurückhaltende Art und predigt immer wieder den Gemeinsinn. Der gebürtige Madrilene, der in Jugendzeiten sowohl für den FC Barcelona als auch Real Madrid spielte, ehe er bereits mit 27 Jahren als Assistenztrainer bei den spanischen Juniorinnen anfing, weiß nur zu gut, wie mühsam im Frauen- und Mädchenfußball die Saat ausgebracht werden muss, ehe Ernte eingefahren werden kann.
Aber für den 41-Jährigen, der 2015 den Cheftrainerposten bei Spaniens Frauen übernahm, scheint die Zeit jetzt reif. Er hat vor dem zweiten EM-Gruppenspiel zwischen Deutschland und Spanien (Dienstag 21 Uhr) daran erinnert, dass sein Ensemble beim Vorbereitungsturnier in England um den Arnold-Clark-Cup die klar bessere Mannschaft war, dann aber kurz vor Schluss noch den 1:1-Ausgleich der nun positiv auf das Corona-Virus getesteten Lea Schüller schluckte. Kein Sieg im sechsten Anlauf. Jetzt aber glaubt Vilda:
Wir haben daraus gelernt. Ich denke, dass es jetzt die beste Gelegenheit ist, Deutschland zum ersten Mal zu schlagen.
Ausfall von Alexia Putellas auch eine Chance
Ihm passte die hohe Erwartungshaltung vor der EM indes gar nicht. Nur weil der FC Barcelona die Champions League gewinnen kann - 2021 gelang das, in diesem Jahr war Olympique Lyon wieder zu stark -, und zweimal mehr als 90.000 Menschen ins Camp Nou strömen, um Weltfußballerin Alexia Putellas anzufeuern, muss sein Nationalteam nicht zwangsläufig das Turnier gewinnen. Insofern hatte Alexias Kreuzbandriss einen Effekt: Auch bei den spanischen Medien kam nach dieser Schocknachricht wieder viel Demut durch. Auch die Kritik an Vildas Nicht-Berücksichtigung der lange verletzten Jennifer Hermoso ebbte ab.
Spanien-Trainer Jorge Vilda freut sich nach Sieg gegen Finnland
Quelle: Reuters
Im ersten Spiel gegen Finnland (4:1) kam noch ein früher Rückstand dazu, doch dann schüttelten sich die Spanierinnen, und anstelle des ansonsten gepflegten Tiki-Taka erwiesen sich auf einmal schnöde Standardsituationen als Türöffner. Irene Paredes, Aitana Bonmati und Lucia Garcia bewiesen drei Mal Köpfchen - und damit eine erstaunliche Wandlungsfähigkeit. Es steht aber außer Frage, dass der FIFA-Weltranglistensiebte, der bei der EM 2017 erstaunlicherweise im Viertelfinale gegen Österreich kein Tor aus dem Spiel zustande brachte und dann im Elfmeterschießen fast mit Ansage scheiterte, gegen Deutschland wieder auf viel Ballbesitz setzen wird.
Das ist in der DNA der Spielerinnen verankert, weil das Stilmittel bewusst aus den Talentschmieden der Männer und Jungs auch für die Frauen und Mädchen kopiert worden ist. Beispielhaft beim FC Barcelona, wo der Ursprung einer nachhaltigen Entwicklung zu finden ist. Der Fortschritt wird auch vom spanischen Fußball-Verband RFEF belohnt: Künftig sollen Frauen- und Männer-Nationalteam von den von der UEFA und FIFA verteilten Bonuszahlungen und Fernsehprämien gleichermaßen profitieren. Schließlich können die Frauen eine Epoche prägen wie einst die Männer.
Großes Lob von Joti Chatzialexiou
Für den Sportlichen Leiter Nationalmannschaft beim DFB, Joti Chatzialexiou, sind die spanischen Leistungszentren längst beispielhaft. Er macht keinen Hehl daraus, dass die dort erschaffenen Strukturen eine weltweite Benchmark bilden, wenn es um die Basisarbeit im Nachwuchs geht. "Das ist eine andere Mentalität, eine andere Haltung." Der über den Tellerrand blickende 46-Jährige zählt in diesem Zusammenhang auf, dass spanische Juniorinnen seit rund einem Jahrzehnt bis auf eine Ausnahme immer mindestens bis ins Halbfinale einer U17- bzw. U19-EM gekommen sind.
Ich glaube, dass der spanische Fußball in Zukunft im Frauenbereich dominierend sein wird.
Joti Chatzialexiou
Nichtsdestotrotz müsse aber der deutschen Mannschaft jetzt im ausverkauften Community-Stadion von Brentford nicht bange sein. "Wir müssen den deutschen Weg gehen und brauchen uns nicht verstecken." Auch wenn Jorge Vilda das Stoppschild aufstellen will.
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