So also sieht es aus, wenn die Nationalmannschaft Begeisterung weckt. Diesen Eindruck muss der beim 9:0 gegen Liechtenstein offiziell verabschiedete Joachim Löw gehabt haben.
Es kommt nicht so oft vor, dass die Besucher nach einem Fußball-Länderspiel gar nicht nach Hause wollen. Überall in der Wolfsburger Arena stellten sich die Menschen noch einmal auf, um nach dem 9:0-Torfestival der deutschen Nationalmannschaft gegen Liechtenstein ein Erinnerungsbild zu schießen. Am besten noch mit der Mannschaft im Hintergrund.
Grandiose Stimmung beim DFB-Spiel
Während die Spieler langsam ihre Ehrenrunde drehten, dröhnte das berühmte "Sweet Caroline" von Neil Diamond aus den Boxen: Deutschlands Heimspiele sind unter Hansi Flick wieder echte Spaßveranstaltungen, für die sich das Eintrittsgeld lohnt. Nach Stuttgart und Hamburg hat auch die Autostadt die neue Begeisterung erlebt.
Das war auch für den Bundestrainer, Startrekord hin oder her, wie er sagte, das Beeindruckendste: "Das Zusammenspiel zwischen Mannschaft und Fans war toll, eine grandiose Stimmung", befand der 56-Jährige, ohne den netten Nebeneffekt an diesem Novemberabend am Mittellandkanal unerwähnt zu lassen: "Es war auch das Ziel, Jogi Löw mal wieder ein schönes, attraktives Fußballspiel zu bieten."
Joachim Löw offiziell verabschiedet
"Jogi war gestern, Hansi ist heute" müsste eigentlich der neue Slogan lauten, nachdem aktive und nicht mehr aktive Weltmeister angereist waren, um die Langzeitverdienste von Flick-Vorgänger Joachim Löw zu würdigen.
Der Ex-Bundestrainer quittierte die "Jogi, Jogi"-Rufe mit einem Lächeln, verzichtete auf eine Danksagung am Stadionmikrofon, verriet aber via Fernsehkamera, dass er "eine Weile gebraucht" habe, um gerade die EM ("das letzte Turnier war ja für uns alle ein bisschen enttäuschend") zu verarbeiten.
Die Routiniers relativieren
Dass es im Nachhinein besser gewesen wäre, nach der 0:6-Abreibung vor genau einem Jahr gegen Spanien zurückzutreten, weiß Löw vermutlich selbst. Aber vielleicht hilft der Schuss vor den Bug sogar allen noch.
Mit Blick auf die WM 2022 in Katar, die ohne jegliche Vorbereitungszeit gespielt werden muss, wächst das Ensemble viel schneller zusammen als gedacht. Obgleich erfahrene Spieler diese fast makellose WM-Qualifikation, die bei einem Sieg in Armenien (Sonntag 20.45 Uhr) mit 27 von 30 möglichen Punkten enden soll, offenbar richtig einordnen können.
"Man muss das ein bisschen relativieren. Es ist ja so, dass wir jetzt keine extrem schwierigen Gegner in der Gruppe haben", erklärte Thomas Müller:
Tritt gegen Leon Goretzka
Tatsächlich hatte das Schützenfest gegen die Außenseiter aus dem Fürstentum spätestens nach acht Minuten nur noch den Charakter eines Trainingsspiels, denn Jens Hofer hatte nach einem rüden, aber unabsichtlichen Tritt an den Hals von Leon Goretzka die Rote Karte gesehen.
"Unsere Gegner waren nicht auf dem Niveau von Weltspitze", gab auch Marco Reus zu bedenken, aber es sei nie verkehrt, "Selbstvertrauen zu tanken". Nicht ganz unwichtig nach dem Corona-Schreck der vergangenen Tagen, doch die acht Ausfälle steckte das Team locker weg.
Ridle Baku hat sich rehabiliert
Dafür durfte Ridle Baku beispielsweise ein Traumtor schießen. Nach dem mühsamen 2:0-Hinspielsieg gegen denselben Gegner war der Wolfsburger von Flick gleich wieder heimgeschickt worden. "Wenn man was ausprobieren will, braucht man Platz im Kader. Den haben wir bekommen mit sieben oder acht die abgereist sind", fasste der Flick pragmatisch zusammen.
Inzwischen steht Flick bei sechs Siegen und stolzen 27:1 Toren. Als in seinem Rücken kurz vor Mitternacht eine kleine lärmende Fanschar an den Plexiglasumrandungen der Nordkurve rüttelte und unentwegt "Hansi, Hansi" brüllte, drehte sich Flick irgendwann um und grüßte zurück - fast etwas verlegen.