Über weite Strecken besteht die deutsche Nationalelf den Härtetest gegen die Niederlande (1:1). Doch titeltauglich ist die DFB-Auswahl noch nicht.
Es ist ja nicht so, dass Hansi Flick das Prozedere einer Auslosung nicht kennt. Der 57-Jährige hat in seiner Trainerkarriere schon so manche Zeremonie miterlebt. Und so blickt er gelassen auf die Auslosung der WM-Gruppen am Freitag in Katars Hauptstadt Doha. "Wir fahren hin, werden uns die Sache angucken. Und wir werden uns auf die Aufgabe, die wir bekommen, top vorbereiten", sagte Flick nach dem Härtetest der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen die Niederlande (1:1) in der Amsterdamer Arena, deren stimmungsvolles Publikum sich bereits in weltmeisterlicher Partylaune präsentierte.
Der Bundestrainer fand, dass auch seine Mannschaft "auf einem sehr, sehr guten Weg" ist. Der Auftritt bei der ersten Bewährungsprobe auf Topniveau sei "erfrischend" gewesen.
Lob von Louis van Gaal
Beistand hielt Flick von seinem Trainer-Vorbild Louis van Gaal. "Deutschland ist ein Top-Kandidat für den WM-Titel", urteilte der 70-Jährige mit der ihm eigenen Expertise. "In der ersten Halbzeit konnten wir uns nicht lösen vom Druck der Deutschen. Aber unsere zweite Halbzeit war fantastisch."
Seine Mannschaft hätte das Prestigeduell bei allem Lob für den Gast sogar gewinnen können, aber Schiedsrichter Craig Pawson nahm nach einem von Thilo Kehrer an Memphis Depay recht töricht verwirkten Elfmeter zum Entsetzen der "Oranje"-Fans die Entscheidung zum Strafstoß nach Videoansicht wieder zurück. So blieb Flick die erste Niederlage im neunten Spiel erspart.
Torschütze Thomas Müller gab ohne Umschweife zu:
Müller hatte das DFB-Team kurz vor der Pause (45.+1) in Führung gebracht und mit seinem 43. Länderspieltreffer in der ewigen Torschützenliste der deutschen Fußball-Nationalmannschaft mit Uwe Seeler gleichgezogen.
Licht und Schatten bei junger Garde
Einige Wechsel beschleunigten zwar den Kontrollverlust in der deutschen Mannschaft, aber bei allem Lob für U21-Europameister wie Nico Schlotterbeck oder David Raum war auch offenkundig: Die junge Garde muss mit den großen Aufgaben erst noch wachsen.
Sonst hätte beispielsweise der bei der TSG Hoffenheim sein erstes Bundesligajahr spielende Linksverteidiger Raum seine Chance zum 2:0 genutzt oder das Kopfballduell vor dem 1:1-Ausgleich durch Steven Bergwijn (68.) besser verteidigt.
Doch wie viel Potenzial in der Mannschaft steckt, offenbarte eine Reihe davor Jamal Musiala. Eine Augenweide, wie instinktsicher sich der 19-Jährige vom FC Bayern im defensiven Mittelfeld mit spielerischer Leichtigkeit zwischen den Linien bewegte. In dieser Form erwächst dem diesmal fehlenden Mittelfeld-Doppel mit Joshua Kimmich und Leon Goretzka echte Konkurrenz aus dem eigenen Verein.
Deutliche Handschrift des Trainers
Insgesamt wirkt das gesamte Gefüge seit Flicks Amtsübernahme im Spätsommer 2021 deutlich gefestigter, Spieltempo und Laufwerte sind wieder höher, und der Kader ist in der Breite viel besser aufgestellt - dazu kommt ein ganz anderer Zug in den Trainingseinheiten: So ist unter Flick wieder die klare Handschrift eines Trainers zu erkennen, wo Löw auf der Zielgeraden mit seinem taktischen und personellen Schlingerkurs eher die Spieler verwirrte.
Gleichwohl sind die über Jahre eingeschliffenen Defizite bei der DFB-Auswahl - das WM-Vorrunden-Aus 2018 und das EM-Achtelfinal-Aus 2021 waren ja nicht Ausdruck himmelschreiender Ungerechtigkeit vom Fußball-Gott - noch nicht vollständig behoben. Abzulesen daran, dass der vierfache Weltmeister bei der Auslosung am Freitag nur im zweiten Lostopf liegt. Damit kann das DFB-Team bereits in der Vorrunde auf England, Spanien, Frankreich, Belgien, Argentinien oder Brasilien treffen.