Die Formel 1 gibt sich als Vorreiter in Sachen Integration und Diversität, fährt aber für viel Geld in Ländern wie Katar und Saudi-Arabien. Ein krasser Widerspruch?
Die Diskussion gab es schon vor einer Woche in Katar, jetzt in Saudi-Arabien muss sich ihr die Formel 1 zum zweiten Mal nacheinander stellen: Ist dieses Land, seit vielen Jahren im Fokus internationaler Menschenrechtsorganisationen, wirklich der richtige Ort für so eine große Sportveranstaltung? Oder sind Antrittsgelder von 50 bis 60 Millionen Dollar der wahre Grund, der alles andere vergessen lässt?
Alles eine Frage der Perspektive
Die Argumente von beiden Seiten sind immer die gleichen: Die Gegner solcher Events gehen davon aus, dass die entsprechenden Machthaber den Glamour und die weltweite Aufmerksamkeit nur dazu nutzen, ihr Image aufzupolieren und sich nach außen "reinzuwaschen", während sich für die betroffenen Menschen in ihren Ländern nichts verbessert.
Befürworter argumentieren, dass die Präsenz internationaler Sportevents sehr wohl auch intern Dinge verändern und auf den richtigen Weg bringen kann, verweisen etwa auf gestiegene Freiheiten zum Beispiel für Frauen in Saudi-Arabien in den letzten Jahren.
Domenicali: "Kultureller Wandel braucht Zeit!"
Formel-1-Boss Stefano Domenicali glaubt, dass die Formel 1 zur Verbesserung der Situation beitragen könnte:
"Aber die Zeiten werden sich dadurch beschleunigen, dass es tolle Events gibt. Und die Formel 1 wird dabei eine wichtige Rolle spielen," sagte er kürzlich in einem BBC-Interview.
Um zu erklären, dass es das Richtige sei, in diese Länder zu gehen, sagt er: "Ich denke, dass das Scheinwerferlicht, das wir bringen, für den Willen und die Sehnsucht nach Veränderung nützlich sein wird, die diese Länder zeigen.
"Tatsächlich ist es das Gegenteil. Es bedeutet nicht, dass alles perfekt ist, aber es ist sicher: Was wir tun, geht in die richtige Richtung."
Mangelndes Problembewusstsein und viel Druck
Bei vielen in der Formel 1 scheint das Problembewusstsein nicht sonderlich ausgeprägt zu sein. "Der Mittlere Osten ist ein guter Ort für Rennen", sagte Haas-Teamchef Günther Steiner. "Diese Länder sind aufstrebend und stecken viel Mühe rein, diese Events zu veranstalten. Außerdem ist es noch warm, wenn es in Europa kalt wird. Wenn die Leute einen Urlaub planen, ist es ein guter Ort, um dort hinzureisen."
[Warum auch die Fußball-WM in Katar in der Kritik steht im Video:]
Katar ist einer der größten Geldgeber im internationalen Fußball. Dieses Engagement hat politische Gründe. Bei Fans sorgt das für Unmut.
Fernando Alonso ist auch nicht für irgendwelche Kritik zu haben. "Ich fahre gerne in Middle East - ich habe mit keinem der Länder ein Problem, ich lebe ja auch schon seit längerer Zeit in Dubai."
Vettel hält sich mit Kritik zurück
Selbst Sebastian Vettel, normalerweise für klare Aussagen und Meinungen bekannt, blieb zuletzt in Katar sehr vorsichtig: "Das ist eine schwierige Frage, aber es ist keine Frage nur an mich sondern an alle. Wir lieben es Autos zu fahren, machen das weltweit, einigen Kulturen, in denen wir dabei antreten, stimmen wir mehr zu, anderen vielleicht weniger. Es ist weniger eine Frage an mich als an die Formel 1 insgesamt."
So unsicher, wie der Heppenheimer dort auf einmal reagierte, eher wie ein verschüchterter Schuljunge als der normal so souveräne Vertreter klarer Standpunkte, ließ zumindest von außen den Verdacht aufkommen, dass da gewisse andere Faktoren im Spiel waren. Eindeutige Ansagen von "oben" zum Beispiel, ob durchs eigene Team oder die Formel-1-Bosse allgemein.
Vettel hatte ja wohl schon nach seinem deutlichen Auftreten in Ungarn in Sachen LGTBQ+ intern einigen Druck und Ärger bekommen – allen offiziellen "We Race as One" Kampagnen der Formel 1 zum Trotz. Für Saudi-Arabien ließ er sich dann allerdings eine clevere, nach außen unverfängliche, aber doch Aufmerksamkeit erzielende Aktion einfallen: Er organisierte ein Kart-Event – nur für Mädchen und Frauen.
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