Wendie Renard ist Abwehrchefin, Führungskraft und Integrationsfigur beim französischen Nationalteam. Ihre Kopfballstärke fürchten auch die DFB-Frauen vor dem EM-Halbfinale.
Es gab einen Moment, da wirkte Wendie Renard bei dieser EM ziemlich niedergeschlagen. Im Gruppenspiel gegen Belgien (2:1) war das, als die Kapitänin von Frankreichs Nationalteam einen Elfmeter verschoss. Renard war auch deshalb so angefressen, weil sie bei diesem Turnier alles richtig machen wollte.
Und so ließ die 32-Jährige im Viertelfinale gegen die Niederlande (1:0) ihrer Teamgefährtin Eve Perisset beim Strafstoß in der Verlängerung den Vortritt - Perisset traf zum Sieg und zum Halbfinal-Einzug gegen das DFB-Team (Mittwoch/ZDF) .
Für die Equipe tricolore erscheint aber Renard, und das nicht allein wegen ihrer 1,87 Meter, größer denn je. Sie ist Abwehrchefin und Kapitänin, Führungskraft und Integrationsfigur. Und nebenbei hat sie in 135 Auftritten für Frankreich stolze 33 Tore erzielt. Die meisten per Kopf.
Respekt der Gegnerinnen
Renards Stärken sind eine enorme Ruhe am Ball, ein exzellentes Stellungsspiel und ein großes Zweikampfgeschick. Sie kommt bei der EM auf eine Passquote von 92 Prozent, 31 Bälle hat sie erobert, 22 Situationen geklärt und vier Tacklings gemacht. Die Gegnerinnen zollen ihr - naturgemäß auch wegen ihrer imposanten Erscheinung - riesigen Respekt.
Die deutsche Nationalspielerin Sara Däbritz, Renards künftige Klubkollegin in Lyon, weiß:
In der Luft ist die Französin in einer anderen Liga unterwegs. Wenn nichts mehr geht, rennt Renard nach vorne. Vermutlich wird Kapitänin Alexandra Popp als eine der weltbesten Kopfballspielerinnen gar nicht reichen, um sie zu blocken.
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Der Traum vom Titel mit der Nationalmannschaft
Renard gibt das bekannte Gesicht inmitten der jungen Wilden. Haben sich Stars wie Torhüterin Sara Bouhaddi, Amandine Henry oder Eugénie Le Sommer mit der als schwierig geltenden Nationaltrainerin Corinne Diacre längst überworfen, bekam Renard nach den vielen Irritationen rund um die Heim-WM 2019 die Versöhnung hin. Es brauchte allerdings die persönliche Vermittlung des Verbandspräsidenten Noël Le Graët.
Für die seit ihrer Jugendzeit für Olympique Lyon spielende Renard sind diese EM und die WM 2023 vielleicht die letzten Möglichkeiten, endlich das Talent der französischen Fußballerinnen in einen Titel zu überführen. Dass es elf lange Jahre brauchte, um nach einem vierten WM-Platz überhaupt das Halbfinale einer EM oder WM zu erreichen, hat eben auch mit mentalen Defiziten der Mannschaft in Drucksituationen zu tun.
Renard kennt das Gefühl nur zu gut, wenn es im entscheidenden Moment nicht funktionierte, weil die Blöcke aus Paris und Lyon nicht harmonierten. Dann hilft es auch nicht, dass sie im Verein schon so viele Trophäe gewann und allein acht Mal die Champions League gewann.
Integrationsfigur auch neben dem Platz
Der "Kontrollturm", wie sie die Mitspielerinnen rufen, nimmt auch abseits des Platzes eine immer wichtigere Rolle ein, seitdem sie ihre Stimme im Kampf gegen Rassismus erhebt. Für die UEFA-Kampagne gegen Diskriminierung und Gewalt in den sozialen Medien geht Renard voran.
Sie hat es oft selbst leidvoll erfahren. Renard wuchs im Übersee-Department Martinique auf, wo sie mit den Jungs beim Kicken gegen alles trat, was rollte. Plastikflaschen oder Bälle. Als sie acht Jahre alt war, starb ihr Vater an Krebs. Sie kam als Teenagerin von der Karibik-Insel nach Frankreich und hatte es anfangs nicht immer einfach.
Auch im Fußball blieb manche Tür verschlossen, wie die zur berühmten Akademie in Clairefontaine. Dort handelte sie sich mit 14 noch eine Absage ein, aber mit 16 spielte sie bereits für Lyon in der ersten Liga - dort hatte man ihr den Zutritt zum Nachwuchsleistungszentrum nicht verwehrt.