FC Bayern vor der neuen Saison:Ein Angriff ohne echte Neun
von Maik Rosner
19.07.2022 | 12:11
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Nach Lewandowskis Abschied gehen die Münchner eine Saison wohl erstmals ohne klassischen Mittelstürmer an. Auffangen sollen den Verlust Mané, Gnabry – und Trainer Nagelsmann.
Serge Gnabry (links) und Sadio Mané sollen bei den Bayern künftig den Abgang von Top-Torjäger Robert Lewandowski abfedern.
Quelle: imago
Wenn der FC Bayern am Donnerstagmorgen um 1.30 Uhr deutscher Zeit auf seiner USA-Tour in Washington zu einem Test gegen D.C. United antritt, kann das Publikum einer Weltpremiere beiwohnen. Erstmals wird eine Münchner Mannschaft zu bestaunen sein, die sich für die kommende Saison zwar einen Großangriff auf alle Titel vornimmt, aber seit Robert Lewandowskis Verkauf zum FC Barcelona über keinen ausgewiesenen Mittelstürmer verfügt.
Für Fans des FC Bayern kommt der Blick in den Kader gerade einem kleinen Kulturschock gleich. Weit und breit lässt sich dort keine echte Neun finden. Dabei hat der deutsche Branchenprimus noch nie seit seiner Bundesliga-Aufstiegssaison 1964/65 auf einen klassischen Mittelstürmer verzichtet.
Von Gerd Müller bis Robert Lewandowski
Seit den Zeiten von Gerd Müller schien in der Satzung des FC Bayern München e.V. festgeschrieben zu sein, dass ein gelernter Fachmann fürs Toreschießen zur Belegschaft zählen muss. Immer ließ sich danach ein echter Mittelstürmer im Kader finden, ob dieser nun Dieter Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Roland Wohlfarth, Jürgen Klinsmann, Giovane Élber, Roy Makaay, Luca Toni, Miroslav Klose, Mario Gomez oder Lewandowski hieß.
Die Bayern haben sich in der Saison 1993/94 sogar einen Mittelstürmer namens Adolfo José Valencia Mosquera geleistet, der zwar alles traf, darunter auch Bäume, nur leider eher selten das Tor. Sie nannten ihn den "Entlauber".
Grundlegende Spielidee über Jahrzehnte
Dennoch konnten sie von sich behaupten, über einen echten Mittelstürmer zu verfügen. Das erlaubte ihnen auch, ihre grundlegende Spielidee über die Jahrzehnte beizubehalten, bei der die Bälle am Ende flach oder hoch vor das Tor gespielt werden, wo ein Mittelstürmer wartet, um sie zu verwerten. Die klassische Nummer neun gehörte zum FC Bayern wie die Brezn zur Weißwurst. Und jetzt?
Jetzt steht der FC Bayern mit seinem Kader ohne echten Mittelstürmer vor einem Experiment, das sie in München nach allem, was sie kundtun, auch nach dem Transferschluss am 1. September fortsetzen wollen. Ein Spieler, der Lewandowski ersetzen könnte, ist ohnehin derzeit auf dem Markt nicht in Sicht und wäre überdies sehr teuer.
Aufgabenteilung im Angriff angesagt
Man werde Lewandowskis Aufgaben "auf mehrere Schultern verteilen", kündigt Sportvorstand Hasan Salihamidzic an. Vor allem wohl auf jene von Zugang Sadio Mané, 30, der zuletzt beim FC Liverpool zeitweise und mit Erfolg in die Rolle der zentralen Spitze schlüpfte. Mané interpretiert diese aufgrund seiner Körpergröße von nur 1,74 Meter aber ganz anders als der Modellathlet Lewandowski (1,85 Meter) und eher selten unter Zuhilfenahme des Kopfballspiels.
Zudem wird der auch nur 1,76 Meter große und ebenfalls schon als zentraler Stürmer erprobte Serge Gnabry, 27, nach seiner Vertragsverlängerung bis 2026 als wichtiger Teil der Offensive eingeplant. Womöglich spielen Mané und Ganbry auch häufig zusammen, beispielsweise in einer 3-5-2-Grundordnung mit einer Doppelspitze. Ob sie es zusammen auf Lewandowskis zuletzt stets deutlich mehr als 50 Torbeteiligungen pro Saison bringen werden?
Kahn hoffnungsfroh, Müller gespannt
In jedem Fall wird sich die Spielweise des FC Bayern verändern und flexibler werden. Der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn verweist bereits hoffnungsfroh auf "viele Überraschungsmomente" für die Gegner. Besonders gefordert ist nun auch Trainer Julian Nagelsmann.
Wie das alles aussehen wird, weiß selbst Lewandowskis langjähriger Offensivpartner und Zulieferer Thomas Müller noch nicht. "Die Statik unseres Offensivspiels wird sich ein bisschen verändern", ahnt er und scheint gespannt zu sein, ob und wie das Spiel ohne echten Mittelstürmer funktioniert. Eines aber weiß Müller ganz genau: "Wir müssen schauen, dass wir weiter erfolgreich bleiben."
Erfolgreichste Mittelstürmer des FC Bayern seit der Aufstiegssaison 1964/65:
Gerd Müller: 584 Spiele/531 Tore
Robert Lewandowski: 375 Spiele/344 Tore
Karl-Heinz Rummenigge: 423 Spiele/217 Tore
Roland Wohlfarth: 332 Spiele/155 Tore
Dieter Hoeneß: 303 Spiele/149 Tore
Giovane Élber: 266 Spiele/139 Tore
Claudio Pizarro: 326 Spiele/125 Tore
Mario Gomez: 173 Spiele/113 Tore
Roy Makaay: 181 Spiele/103 Tore
Robert Lewandowski: 375 Spiele/344 Tore
Karl-Heinz Rummenigge: 423 Spiele/217 Tore
Roland Wohlfarth: 332 Spiele/155 Tore
Dieter Hoeneß: 303 Spiele/149 Tore
Giovane Élber: 266 Spiele/139 Tore
Claudio Pizarro: 326 Spiele/125 Tore
Mario Gomez: 173 Spiele/113 Tore
Roy Makaay: 181 Spiele/103 Tore
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