Manipulierte Fußball-Spiele gab es auch 2005 im Wettskandal. Seit 2011 ist Carsten Thiel von Herff Ansprechparter für alle, die von Spielmanipulationen Kenntnis erhalten.
ZDFheute: Herr Thiel von Herff, welche Rolle spielt der Bundesliga-Skandal von 1971 heute noch im kollektiven Gedächtnis der Fußball-Fans?
Carsten Thiel von Herff: Als jemand, der 1973 geboren wurde, war für mich der Wettbetrug um den Schiedsrichter Robert Hoyzer 2005 das prägendere Ereignis. Aber natürlich kenne ich die Berichterstattung über 1971, vor allem die Bilder von der Grillparty des Offenbacher Präsidenten Canellas, auf der der Skandal enthüllt wurde, bleiben unvergesslich.
In der Generation, die heute in den Nachwuchsleistungszentren spielt, ist das nicht mehr präsent. Wenn ich dort junge Spieler schule, ziehe ich den Bundesliga-Skandal heran, um die Folgen aufzuzeigen.
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ZDFheute: Was sind das für Schulungen?
Thiel von Herff: Seit 2011 schule ich als unabhängiger Ombudsmann der DFL und des DFB zusammen mit anderen Dienstleistern in den Nachwuchsleistungszentren die Spieler ab der U15 zum Thema "Verhinderung von Spiel- und Wettmanipulationen" und bin der erste Ansprechpartner für alle Beteiligten. Eine Pflichtschulung für Lizenzspieler gibt es seit 2018.
ZDFheute: Auf welche Folgen des Skandals weisen Sie dann hin?
Thiel von Herff: Auf leere Stadien und Sponsoren, die abspringen. Vieles ist 1971 jedoch durch die bevorstehende Heim-WM abgefedert worden. Mit der WM und dem Weltmeistertitel kamen die Zuschauer zurück und das Thema geriet in Vergessenheit. Aber ich nutze es weiter als mahnendes Beispiel.
- Als die Bundesliga ihre Unschuld verlor
Vor fünfzig Jahren erschütterte ein Bestechungsskandal die Fußball-Bundesliga: Im Abstiegskampf wurden reihenweise Spiele manipuliert, über die Hälfte der Klubs war involviert.
ZDFheute: DFB-Chefankläger Hans Kindermann hat damals prognostiziert, dass das Überwinden des Skandals neue Manipulationen unwahrscheinlich mache.
Thiel von Herff: Das Zitat ist spätestens 2005 durch den Fall Hoyzer eingeholt worden. Allerdings handelte es sich 1971 um Absprachen aus primär sportlichen Gründen.
Heute geht es im Profisport weniger um sportliche Ziele, sondern darum, mit Wetten auf manipulierte Spiele viel Geld zu verdienen. Wenn man die Kindermann-Aussage aber nur auf sportliche Fragen wie Auf- und Abstieg in den Bundesligen bezieht, hat er bis heute wohl recht behalten.
- Sprengsatz auf dem Tonband
Ein Bestechungsskandal hat vor 50 Jahren die Bundesliga erschüttert. OFC-Präsident Canellas hatte Schmiergeld-Gespräche mitgeschnitten und fühlte sich dann selbst als Betrogener.
ZDFheute: Aktuell gibt es Vorwürfe des Chefs von Flyeralarm, dem Sponsor der Würzburger Kickers, der von mutwilligen Fehlentscheidungen der Schiedsrichter spricht. Als Reaktion will er sein Sponsoring für den DFB beenden.
Thiel von Herff: Das klingt paradox, denn warum sollte ein DFB-Schiedsrichter bewusst Entscheidungen gegen einen DFB-Sponsor treffen? Ein eher haltbarer Vorwurf wäre es doch, wenn für einen Sponsor gepfiffen wird. Die Vorwürfe sind aus meiner Sicht eine emotionale Spontanreaktion, die ich sportlich und menschlich sogar nachvollziehen kann.
ZDFheute: Sind Profi-Spieler heute weniger anfällig für Benachteiligungen, da die Gehälter andere Dimensionen haben als 1971?
Thiel von Herff: Das hohe Einkommen schützt nur bedingt, wir reden im Bereich der Wettmanipulationen über Erpressung und Abhängigkeiten. Wenn ein spielsüchtiger Topverdiener zwei Millionen Euro auf eine Partie setzt, ist das auch für ihn viel Geld. Die Manipulanten suchen gezielt nach Schwachstellen.
Aber die Spiele werden intensiv auf Auffälligkeiten gescreent und das Thema ist inzwischen so in den Köpfen verankert, dass ich positiv gestimmt bin, die Integrität des Wettbewerbs zu bewahren. Hundertprozentige Sicherheit gibt es natürlich nie.
ZDFheute: Können Sie sich heute noch unbeschwert als Fan ein Bundesliga-Spiel ansehen?
Thiel von Herff: Ja, den Spaß am Fußball habe ich nicht verloren und ich vermute nicht hinter jedem Eigentor eine Manipulation. Dennoch ist die reine Freude einem analytischen Blick gewichen, was auch dem fortschreitenden Lebensalter geschuldet ist.
Als Bielefelder gucke ich am Dienstag natürlich das Spiel gegen Schalke 04, leider nicht im Stadion. Es kann doch kein Zufall sein, dass ausgerechnet diese Partie zum 50-jährigen Jubiläum des Bundesliga-Skandals stattfindet.
Das Interview führte Ralf Lorenzen.