Fußballklubs und Crowdfunding:Fanbeteiligung statt Sponsoren-Macht
von Ralf Lorenzen
08.06.2022 | 13:23
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Die Fans von Rot-Weiss Essen haben es vorgemacht, die von Eintracht Braunschweig ziehen nach: Sie kaufen den Namen ihres Stadions. Dahinter steckt mehr als Traditionspflege.
Fotomontage aus der Crowdfunding-Kampagne von Rot-Weiss Essen: So soll der Schriftzug am Stadion an der Hafenstraße mal aussehen.
Quelle: Ralf Lorenzen
Wer sich 2010 per Online-Navigation an das ehrwürdige Stadion im Hamburger Volkspark heranzoomte, erlebte Wunderliches: Je nachdem, welcher Vergrößerungsgrad gewählt wurde, war auf der Karte entweder "HSH Nordbank Arena" oder "Imtech Arena" zu lesen. In jenem Jahr war mal wieder ein Namenswechsel vollzogen worden und offenbar noch nicht in allen Tiefen der Datenwelt angekommen.
Inzwischen darf die Arena wieder ihren alten Namen "Volksparkstadion" tragen, aber nur auf Gnaden von Investor Klaus-Michael Kühne, der die Namensrechte besitzt und es jederzeit umbenennen lassen könnte.
Fans kaufen Namensrechte
Auf den guten Willen anderer wollten sich die Fans von Rot-Weiss Essen nicht verlassen, als die Namensrechte für das Stadion neu verhandelt wurden. "Wir haben die Chance genutzt, eine Fanbeteiligung zu organisieren - statt einfach nach dem nächsten Sponsor zu gucken, bei dem man davon abhängig bleibt, ob er seine Rechte für sich selbst nutzt oder nicht", sagt Jost Peter, 1. Vorsitzender der Fan- und Förderabteilung bei dem Essener Traditionsklub.
In diesem Jahr lief eine Vereinbarung der Stadt mit einem Energiekonzern aus, der den Neubau des Stadions finanziert, seine Namensrechte aber nicht genutzt hatte. Die Stadt als Eigentümerin nahm im vergangenen Herbst Gespräche mit interessierten Unternehmern, aber auch mit dem Verein, über die Neuvergabe der Namensrechte auf.
Auf Seiten des Vereins und der Fans kam schnell die Idee auf, über Crowdfunding und Stadionpartnerschaften die Rechte selbst zu erwerben.
In kurzer Zeit wurde die Idee auf breite Füße gestellt, schon im Dezember mit der Umsetzung begonnen und heute sind bereits die ersten Buchstaben vom "Stadion an der Hafenstraße" montiert.
Spender laufen 24 Stunden über LED
Wenn die beiden Namensschilder an der Steh- und Haupttribüne fertig montiert sind, werden sie von LED-Anzeigen ergänzt, auf denen die Namen der neuen Stadionpartner 24 Stunden am Tag durchlaufen.
Wir hatten das Glück, dass es einen sehr stark geprägten und bekannten Namen schon gab, auf den wir zurückgreifen konnten.
Jost Peter
Bislang haben sich knapp 2.400 Einzelspender verpflichtet, über fünf Jahre pro Halbjahr mindestens 19,07 Euro (symbolischer Betrag zum Jahr der Vereinsgründung) zu zahlen. Dazu kommen vier Großsponsoren, die jährlich einen fünftstelligen Betrag überweisen.
Nachahmer in Braunschweig
Über die gemeinsame Arbeit in der Dachorganisation "Unsere Kurve" erfuhren auch die Fans von Eintracht Braunschweig, wo die Namensrechte am Eintracht-Stadion auch gerade neu ausgeschrieben wurden, von der Idee.
Damit das 100-jährige Jubiläum des Stadions im kommenden Jahr wirklich in Eintracht gefeiert werden kann, hat sich ein Bündnis gebildet, das mit einer Crowdfunding-Aktion 300.000 Euro zur Namensrettung einnehmen will. Die Fans können symbolische Anteilscheine erwerben, die sich in Leistungsumfang und Preis unterscheiden.
Modell für die Zukunft des Vereins
Die Pioniere in Essen sind schon einen Schritt weiter. "Die entscheidende Phase kommt jetzt, wenn wir mehr Geld einnehmen, als wir der Stadt zahlen müssen", sagt Peter.
Wie kann eine Mitbestimmung der Fans über deren Verwendung organisiert werden?
Jost Peter
So wird aus einer Aktion zur Stadionbenennung ein Beteiligungsprozess, in dem verschiedene Interessensgruppen von den Einzelmitgliedern über die Ultras und Fanclubs bis zu den Vereinsverantwortlichen gemeinsam die Zukunft des Vereins gestalten wollen.
Zurück im Profifußball
"Das Modellhafte daran interessiert uns sehr" sagt Peter. "Wie kann man aus einer spontanen Aktion wie das Crowdfunding ein Modell machen kann, das sich auch für andere Dinge im Vereinsleben tauglich erweist?"
In Zeiten, in denen der Trend danach geht, Profiabteilungen aus den Vereinen in Kapitalgesellschaften auszugliedern, entsteht in Essen ein Modell, das den Vereinsgedanken stärkt. Da passt der Aufstieg der Rot-Weißen in die Dritte Liga wunderbar ins Konzept.