Joachim Löw darf trotz des Debakels von Spanien als Bundestrainer weiterarbeiten. Die Entscheidung des DFB ist dabei weniger absurd als die Art und Weise der Entscheidungsfindung.
Am Tag 13 nach dem 0:6 von Sevilla also hat der DFB "weißen Rauch" aufsteigen lassen. Eine interne Bestandsaufnahme hier, eine Selbstanalyse des Bundestrainers dort, am Montagvormittag ein Präsenztermin von Joachim Löw mit dem Präsidialausschuss des Verbandes, danach eine Telefonkonferenz des DFB-Präsidiums und am Nachmittag eine Pressemitteilung mit dem Tenor: "Weiter so".
Verheerendes Bild der DFB-Verantwortlichen
Konsequenzen der höchsten Niederlage einer deutschen Nationalmannschaft seit fast neun Jahrzehnten? Bildlich illustriert: ein leeres Blatt Papier.
Verheerend ist das Bild, das die Verantwortlichen abgeben. Als hätten weder der Bundestrainer noch der Verband etwas gelernt aus der Alibi-Aufbereitung der WM vor zwei Jahren.
Intransparenz in Causa Löw statt Fragen und Antworten
Damals die schnelle Jobgarantie für den Coach gefolgt von zweimonatigem Schweigen und einer WM-Analyse-Pressekonferenz mit nur einer Prise Selbstkritik.
Diesmal das unmittelbare Vertrauensvotum von Oliver Bierhoff, gefolgt von der Veröffentlichung eines Fahrplans zur Entscheidungsfindung und dem unplanmäßig frühen Urteil.
Dazu kein Zitat des Bundestrainers oder gar ein Frage-Antwort-Gipfel der Entscheider mit der medialen Öffentlichkeit. Intransparenz, ein Baustein, warum DFB und Nationalmannschaft in den Augen so vieler als entrückt gelten.
Nach einem Treffen in Frankfurt hat der DFB Joachim Löw das Vertrauen als Bundestrainer ausgesprochen. ZDF-Reporter Markus Harm ordnet das Ergebnis des Krisengesprächs ein.
Entscheidung für Löw keinesfalls abwegig
Mit Löw ins EM-Jahr zu gehen, diese Entscheidung ist sachlich betrachtet keinesfalls abwegig. Bestenfalls sogar die Ideallösung für beide Parteien, Trainer und Verband. Der sportlich Verantwortliche bekommt die Gelegenheit, seinen Enthusiasmus für das höchste aller deutschen Trainerämter schnellst möglich ein weiteres Mal glaubwürdig zu entfachen, sich bei der EM durch die Vordertüre zu verabschieden.
Einerseits ein gefährliches Spiel angesichts der Qualität der EM-Vorrundengegner, andererseits aber keine völlig abstruse Vorstellung. Für den DFB, wenn er klug agiert, ein wertvoller Zeitgewinn, um die Trainerlösung für die Zukunft zu finden.
Kuntz oder Rangnick? Die Alternativen wären rar gewesen
Kurzfristig wären die Alternativen rar gewesen: Stefan Kuntz als charmante Übergangslösung? Denkbar. Ralf Rangnick als nachhaltiger Kandidat? Warum nicht. Rangnick sieht sich aber nicht nur als Trainer, sondern als machtvoller Macher, Konflikte im Traditionsverband DFB wären vorprogrammiert gewesen.
So also startet die Nationalmannschaft mit Joachim Löw ins neue Jahr. Kurzfristige Zielsetzung: "eine begeisternde EM". Unmöglich erscheint das nicht, allerdings hat das kurze Corona-Länderspieljahr offenbart, dass die Umstände für den Bundestrainer komplizierter sind als je zuvor. Weniger Talente auf hohem Niveau, viel mehr Stress im Terminkalender der großen Klubs und noch viel mehr Verletzungsgeschichten.
Das Präsidium folgt darüber hinaus der Einschätzung Löws, dass die WM 2022 und die Heim-EM 2024 schon jetzt in allen Überlegungen eine Rolle spielen müssen - der diskrete Hinweis an Hummels & Co., dass für sie die Türe zur Nationalmannschaft geschlossen bleiben wird.
Schlusskapitel der Löw-Biografie weiter offen
Joachim Löw: Bundestrainer seit Juli 2006, Nationaltrainer bis mindestens Juli 2021. 15 Jahre Jogi oder "der ewige Löw" - der Titel seiner Trainer-Biografie ist druckreif, an der Überschrift zum Schlusskapitel seines Wirkens im Auftrag des DFB darf Joachim Löw jetzt noch tüfteln. Ende gut? Ende schlecht? Ende offen!