Falsche Belastungsmuster aus dem Kopf kriegen, Abläufe optimieren, Schmerzen lindern: Auf dem Weg zum angestrebten Titel setzen die DFB-Frauen auf Neuro-Trainer Callsen-Bracker.
Am klarsten formuliert es Klara Bühl: "Ich bin froh, dass ich fit bin, und er trägt schon viel dazu bei", sagt die Flügelspielerin von Bayern München über Jan-Ingwer Callsen-Bracker.
Der frühere Bundesligaprofi, 169-mal für Bayer Leverkusen, Borussia Mönchengladbach und den FC Augsburg im Einsatz, ist seit drei Jahren in der DFB-Akademie Leiter einer Abteilung für neurozentriertes Training und gehört auch zum deutschen Trainerstab bei der Europameisterschaft in England. Der Neuro-Trainer erklärt:
Aus eigener Erfahrung schlau gemacht
Eine eigene Verletzung und anschließende langwierige Gesundheitsprobleme haben ihm den neurozentrierten Ansatz nahegebracht. Callsen-Bracker besuchte Fortbildungen und schloss nach der Fußballer-Karriere die Ausbildung ab. In seiner aktiven Zeit half ihm das Neuro-Training sehr, er blieb relativ verletzungsfrei und wurde in Augsburg zum Stammspieler.
Ähnlich ging es Klara Bühl, die ein Jahr lang mit Knieproblemen nur unter Schmerzen spielen konnte. Durch das Neuro-Training wurde die Angreiferin, die vor der EM beim 7:0 gegen die Schweiz drei Tore schoss, sehr schnell beschwerdefrei und sagt über den Spezialtrainer: "Ich arbeite fast täglich mit ihm zusammen, das hilft mir enorm."
Da ist sie bei Weitem nicht die einzige, wie Felicitas Rauch berichtet:
Falsche Bewegungsmuster aus den Köpfen kriegen
Dieser Einklang hilft zum einen, Bewegungen zu optimieren, damit in den entscheidenden Sekundenbruchteilen vor dem Tor beispielsweise die richtigen Entscheidungen und auch der Ball perfekt getroffen werden. Zum anderen kann das Training Schmerzen lindern, die durch Fehlbelastungen verursacht werden.
Diese falschen Muster durch spezielle Übungen aus den Köpfen zu kriegen und die richtigen Bewegungsabläufe wieder ins Gedächtnis zu rufen, ist Callsen-Brackers Anspruch:
Häufige Wiederholungen sind da wichtig, manchmal mutet das Ganze seltsam an. "Ich musste Zungenkreisen machen und es hat geholfen", erzählte grinsend Joti Chatzialexiou auf einer Pressekonferenz in West-London. Der Leiter Nationalmannschaft wollte sich für einen Freizeitkick im Betreuerstab fit machen.
Wichtiger aber sind natürlich die Spielerinnen. "Als ich vor der EM muskuläre Probleme hatte, habe ich intensiv mit ihm gearbeitet", verrät Sara Däbritz. Auch an der Heilung der Oberschenkelprobleme von Lina Magull nach dem 2:0-Erfolg gegen Spanien hat Callsen-Bracker seinen Anteil: "Er hat mir in den letzten Tagen sehr, sehr viel geholfen und war auch ausschlaggebend dafür, dass es besser wurde."
Die deutsche Frauen-Nationalmannschaft hat bei der Europameisterschaft vorzeitig das Viertelfinale erreicht. Das DFB-Team gewann gegen Spanien mit 2:0 und steht damit als Gruppensieger fest.
Intensive Arbeit an trainingsfreien Tagen
Selbst an trainingsfreien Tagen ist der 37-Jährige gefordert: "Das sind intensivste Arbeitstage für mich, weil die Spielerinnen nach der Belastung oft kleinere Wehwehchen haben." Zu sehen, mit welcher Übung die Wahrnehmung geschult werden kann, damit die Probleme weggehen, ist dann die Aufgabe. Stets übrigens ist das neurozentrierte Training, oft auch neuroathletisches Training genannt, nur ein Angebot an Spielerinnen, die von sich aus auf ihn zukommen. Außer wenigen Aktivierungsübungen für das Gehirn gibt es keine gemeinschaftlichen Trainingsinhalte.
Die deutschen Spielerinnen sind traditionell aktiv in ihrer Regeneration, selbst wenn sie mal nicht auf den Trainingsplatz müssen. Für Jan-Ingwer Callsen-Bracker bedeutete das etwa am freien Tag nach dem Viertelfinalsieg über Österreich: "Ich war nonstop im Einsatz. Nach dem Frühstück eine individuelle Session im Hotel, dann waren wir mit einer Spielerin auf dem Platz und am Nachmittag kamen auch wieder zwei zur individuellen Einheit." Dabei hilft auch seine freundliche, offene Art, über die Lina Magull sagt: "Jan-Ingwer ist immer gut gelaunt und bringt viel positive Energie mit ins Team."
- EM-Halbfinale: Deutschland - Frankreich
Reporterin Claudia Neumann. Studiogäste: Kathrin Lehmann, Kim Kulig.