Die deutschen Fußballerinnen stehen vorzeitig im Viertelfinale der EM. Alle personellen und taktischen Planspiele der Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sind aufgegangen.
Martina Voss-Tecklenburg drehte sich mit Schlusspfiff auf dem Absatz um. Das EM-Viertelfinale hatten die deutschen Fußballerinnen mit einem hart erkämpften 2:0 gegen Spanien gerade erreicht, als die Bundestrainerin ihren Rücken durchdrückte und mit angespannten Oberarmen fast grimmig auf die Tribüne des Community Stadium von Brentford blickte. Wen sie da angeschaut habe? "Zu meinem Mann. Den gucke ich immer so kritisch an", scherzte die 54-Jährige in Anspielung auf ihren anwesenden Ehemann, den Bauunternehmer Hermann Tecklenburg.
Danach musste sie in die Kabine, um Zucker zu sich zu nehmen, wie sie sagte, weil auch sie "down" gewesen sei, so habe sie "mitgefightet". Die Powerfrau vom Niederrhein hatte mitgezittert und mitgefiebert – und am Ende hatte sie alles richtig gemacht, weil der Rekordeuropameister eine Wandlungsfähigkeit bewies: nämlich mit einem völlig anderen Stilmittel als gegen Dänemark zu reüssieren. Weniger dominant, dafür brutal effizient.
Spanien läuft frühem Rückstand hinterher
Am Ende standen für Spanien zwar 66 Prozent Ballbesitz, 13:6 Torschüsse und 564:190 Pässe in der Statistik, aber das zählt bekanntlich wenig. "Wir mussten für die Fehler teuer bezahlen", sagte Spaniens Nationaltrainer Jorge Vilda.
Er meinte den frühen Aussetzer seiner Torhüterin Sandra Panos vor dem 0:1.
Deutschland kann bereits für die K.o.-Runde planen – und geht dem Duell gegen den Gastgeber England aus dem Wege. Stattdessen geht’s am Donnerstag im Viertelfinale erneut in Brentford gegen Norwegen oder Österreich, was machbar erscheint. "Wir waren bereit zu leiden", lobte die Bundestrainerin, deren Mannschaft mit bedingungslosem Einsatz, enormer Disziplin und großer Abgeklärtheit beeindruckte, um durch Klara Bühl (3.) und Alexandra Popp (37.) zuzuschlagen.
"Es ist die Entschlossenheit aber auch vor allem die Geschlossenheit im Team", sagt ZDF-Reporterin Katja Streso über die Leistung der DFB-Frauen bei der EM.
Hegering ragt in der Defensive heraus
"Die Defense hat sich in der Kabine gefeiert", erzählte Voss-Tecklenburg. Inzwischen sind die Spielerinnen wieder gerne beim DFB-Team – das war zwischenzeitlich nicht immer so. Gerade die Leistungsträgerinnen vom FC Bayern und VfL Wolfsburg kamen in der Vergangenheit mitunter gefrustet von Länderspielmaßnahmen zurück, weil es auch stimmungsmäßig nicht immer passte.
Der Umschwung sei ein Produkt von mehreren Faktoren, "viel Training, viel Spaß, gute Kommunikation, gute Vorbereitung", erklärte die überragende Innenverteidigerin Marina Hegering, die im Verbund mit der tüchtigen Torhüterin Merle Frohms größten Anteil am zweiten zu "Null-Erlebnis" hatte.
Vertrauen zahlt sich aus
Quelle: UEFA/imago
Ihre für die Auszeichnung zur "Spielerin des Spiels" überreichte Trophäe titulierte die von München nach Wolfsburg wechselnde Abwehrstütze "als Sinnbild der megageschlossenen Defensivleistung". Neben ihr nickte in der Pressekonferenz die Bundestrainerin demonstrativ – beide schätzen sich seit vielen Jahren.
Das Vertrauen in die lediglich mit fünf Bundesligaeinsätzen zur EM gereisten Hegering zahlt sich genauso aus wie der Rückhalt für die ebenfalls lange verletzte Anführerin Popp oder die Rückendeckung für die seit 2019 zur Nummer eins ernannten Frohms. Alle personellen und taktischen Maßnahmen der Bundestrainerin erwiesen sich als richtig. Doch von Genugtuung war Voss-Tecklenburg weit entfernt. Und nach Überschwang war ihr wegen der latenten Corona-Gefahr auf der Insel nicht zumute.
Gegen Finnland wohl ohne Fünf
Zudem: Im bedeutungslosen letzten Gruppenspiel gegen Finnland (Samstag, 21 Uhr/live im ZDF) drohen ihr mit der erkrankten Lea Schüller, den gesperrten Felicitas Rauch und Lena Oberdorf und der verletzten Sydney Lohmann sowie der angeschlagen ausgewechselten Lina Magull fünf Spielerinnen zu fehlen.
Die in Milton Keynes pausierende Oberdorf warnte daher mit Blick auf den weiteren Turnierverlauf: "Wenn wir nur einen Schritt weniger machen, wird das nichts!"