Die deutschen Fußballerinnen beeindrucken bei dieser EM auch mit ihrer mentalen Stärke. Einen wichtigen Baustein bildet dabei die Sportpsychologin Birgit Prinz.
Birgit Prinz suchte sich mit Schlusspfiff einen Platz an der Mittellinie. Sie stand einfach da mit ihrer dunkelgrünen Hose und dem mintgrünen Shirt und schaute sich im Community Stadium von Brentford an, wie die deutschen Fußballerinnen nach dem 2:0 gegen Spanien jubelnd ihre Ehrenrunde drehten, Handküsschen auf die Ränge warfen. Wie immer war die Ikone des deutschen Frauenfußballs die Ruhe selbst, ihre innere Zufriedenheit in diesem Moment nur zu erahnen.
Das Team hinter dem Team
Schon früher fiel sie nicht als Partykönigin auf, die hinterher über den Rasen tanzte - hatte sie auch noch so viele Tore geschossen. Heute sagt sie:
Die deutsche Rekordnationalspielerin (214 Länderspiele, 128 Tore) arbeitet als Sportpsychologin bei den DFB-Frauen mit. Genau wie bei der WM 2019 gehört die gebürtige Frankfurterin auch bei dieser EM zum Team hinter dem Team.
"Im Prinzip ist meine Arbeit eher im Hintergrund. Ich probiere, irgendwie Stimmung mitzubekommen, irgendwo ein offenes Ohr zu haben." Sie ist der Seismograph, der auf dem Weg nach Wembley jede Erschütterung wahrnehmen soll. Über ihre Rolle spricht sie mit der ihr angeborenen Zurückhaltung: "Ich weiß nicht, ob ich für alle wirklich wichtig bin. Ich bin bei allen Sitzungen dabei, von daher kann ich auch Rückmeldungen geben."
Psychologie gegen den Leistungsdruck
Die Arbeit mit einer Fußball-Mannschaft, insbesondere jetzt mit dem Frauen-Nationalteam vor dem dritten Gruppenspiel gegen Finnland (Samstag, 21 Uhr/live im ZDF) sei ein fortlaufender Prozess, geprägt von "Wellenbewegungen", erklärt die 44-Jährige. "Wenn der Druck steigt, geht es eher in meine Richtung, als wenn alles easy-peasy ist. Wenn alles läuft, habe ich eigentlich am allerwenigsten zu tun."
Der deutsche Assistenztrainer Patrik Grolimund, der die Fußball-Entwicklung von einem ganzheitlichen, geschlechterunabhängigen Ansatz betrachtet, ist fest davon überzeugt, dass die Grenzen der physischen Leistungsfähigkeit bei Männern wie Frauen erreicht sind. "Aber wo das Limit nicht ausgeschöpft ist", erklärt der Schweizer Trainerausbilder, "ist der mentale Bereich."
Alles hängt zusammen
An dieser Stelle kommt Prinz ins Spiel, die die Trennung von Kopf und Körper noch nie gemocht hat – für sie hängt alles miteinander zusammen. Auch sie vertritt die These:
Um sportliche Leistung abzurufen, sei Freude eine "ganz wichtige Komponente". Ansonsten kann sie nur die Losung ausgeben: "Nicht ablenken lassen, viel sprechen, möglichst wissen, was man kann, dann sollte es eigentlich laufen."
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg will ihre Expertise nicht missen und öffnet ihrer früheren Mitspielerin alle Türen. "Sie ist in alle Bereiche eingebunden. Sie steht immer allen mit Rat und Tat zur Seite." Dass sich die hauptberuflich bei der TSG Hoffenheim angestellte Expertin wieder so fürs Nationalteam engagiere, bedeute "einen absoluten Mehrwert für die ganze Gruppe und für den DFB." Von ihrer Erfahrung könne "jeder andere profitieren".
Prinz noch bei den "Alten Herren" aktiv
Noch immer tritt die zweimalige Weltmeisterin und fünffache Europameisterin – den letzten Titel holte sie 2009 im EM-Finale gegen England (6:2) auch dank ihrer Tore – selbst gerne gegen den Ball. Torwarttrainer Michael Fuchs bindet sie mit Vorliebe in die Abläufe der Torhüterinnen mit ein. Es nötigt vielen Nationalspielerinnen Respekt ab, in welch guter Form die dreimalige Weltfußballerin auch heute noch ist. "Ich spiele noch 'Alte Herren', zweimal die Woche, so ein bisschen just for fun", sagt Prinz.
- Das sollten Sie zur EM in England wissen
In England wird vom 6. Juli bis 31. Juli 2022 die Fußball-EM der Frauen ausgetragen. ARD und ZDF zeigen alle Spiele live. Mehr Informationen zum Turnier im Überblick.