Die Fans von Eintracht Frankfurt tragen ihren Teil zum Siegeszug in der Europa League bei. Ein Szenekenner erläutert vor dem Halbfinale gegen West Ham United die Hintergründe.
Michael Gabriel kann sich noch gut an Auswärtsreisen von Eintracht Frankfurt erinnern, die früher dorthin führten, wo heute die Brennpunkte Europas liegen. Im UEFA-Cup trat der Bundesligist in der ersten Runde im September 1993 bei Dinamo Moskau an, bald darauf auch bei Dnjepr Dnjepropetrowsk in der Ukraine.
In den 90er Jahren mit 23 Anhängern in die Sperrzone
"Das eine Mal nach Moskau sind 120 Fans mitgereist, das andere Mal, in eine militärische Sperrzone waren 23 Anhänger im Flieger der Mannschaft mit an Bord", erzählt der Frankfurter Fanexperte.
Der Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte (KOS) arbeitete damals noch selbst im Frankfurter Fanprojekt mit. Dass Abertausende Anhänger im Zeichen des Adlers für internationale Spiele quer durch Europa touren, war also nicht immer so.
- Frankfurts Traum vom Finale lebt
Eintracht Frankfurt stößt mit einem 2:1-Auswärtssieg bei West Ham United die Tür zum Endspiel der Europa League auf. Die Hessen legen in London einen reifen Auftritt hin.
Bis zu 15.000 Fans auswärts sind heute Normalität
Zuletzt wären gerne viel mehr als die zugelassenen 3.000 Eintracht-Fans im London-Stadium gewesen, die das 2:1 im Halbfinal-Hinspiel der Europa League bei West Ham United erlebten. Die Ausgangsposition fürs Rückspiel gegen den englischen Traditionsverein (Donnerstag 21 Uhr/ZDF-Liveticker) könnte besser kaum sein.
Eine brodelnde Arena bei den Heimspielen und eine massenhafte Unterstützung bei den Auswärtsspielen prägen die Europa-League-Auftritte der Eintracht. "10.000, 15.000 Leute in den Städten", sagte Eintracht-Präsident Peter Fischer im aktuellen sportstudio, "sind bei uns Normalität."
"Die Fans im Rücken, das macht etwas aus", sagt Markus Wolsiffer in Frankfurt vor dem Halbfinal-Rückspiel der Europa League von Eintracht Frankfurt gegen West Ham United.
Support in Barcelona nicht zu kaufen
Rund 30.000 Eintracht-Fans in weißen Shirts kaperten kurz vor Ostern das Camp Nou, nahmen dem FC Barcelona den Heimvorteil. Von dem Support waren die Protagonisten schier überwältigt. Trainer Oliver Glasner sagte danach, dieses Erlebnis sei "für kein Geld der Welt zu kaufen" gewesen.
Für Szenekenner Gabriel hat alles seinen Ursprung, als sich die Eintracht 2013 überraschend für die anstelle des alten UEFA-Pokals geschaffene Europa League qualifizierte: "Armin Veh hat da bereits vor 12.000 Fans in Bordeaux die Fahne geschwungen."
Bayer Leverkusen macht mit einem 2:0-Erfolg gegen eine B-Elf von Eintracht Frankfurt einen großen Schritt in Richtung Champions-League-Qualifikation.
Reiselust auch bei Union und 1. FC Köln
Die Reiselust sei aber kein auf Frankfurt beschränktes Phänomen. "Wir erleben dasselbe auch bei Union Berlin oder dem 1. FC Köln", so der 58-Jährige: "Wer eine Reise tut, hat was zu erzählen." Erst recht nach den Pandemiebeschränkungen.
So schreiben auch die Ultras Frankfurt auf ihrer Homepage, dass es nach der "langersehnten Rückkehr zum alten Stadionerlebnis direkt wieder von 0 auf 200" gegangen sei. "Das zweite Mal in drei Jahren Halbfinale im Europapokal. Einfach Wahnsinn!"
- Frankfurter Europa-Hype: Gut für den Fußball
Eintracht Frankfurt spielt im Europa League-Halbfinale bei West Ham United um eine historische Chance. Frankfurts Europa-Begeisterung ist ein gutes Signal an die ganze Bundesliga.
Die zwei Seiten der Ultras
Die organisierte Fanszene in Frankfurt hatte mit der Stadionrückkehr gewartet, bis wirklich alle Corona-Beschränkungen gefallen waren. Das Achtelfinale bei Betis Sevilla sollte dabei zum emotionalen Erweckungserlebnis werden. "Einen besseren Zeitpunkt hätte es nicht geben können", meint Gabriel.
Speziell die Ultras, so der Frankfurter, der selbst bei den Heimspielen in der Nordwestkurve steht, stehen für eine besondere Fankultur, "bei der Erfahrungen gemacht werden, die es in anderen Lebensbereichen kaum mehr gibt". Der gemeinsame Nenner, Eintracht Frankfurt, stifte "Leidenschaft, Solidarität und Gemeinschaftsgefühl."
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Frankfurter Anhängerschaft immer mal wieder durch Randale negativ auffällt und den Verein schon einige Geldstrafen und Zuschauerausschlüsse bescherte. Auch vor dem Rückspiel der Eintracht heute Abend gegen West Ham kam es in Frankfurt zu Auseinandersetzungen zwischen gewaltsuchenden Anhängern beider Vereine, wie die Polizei mitteilte. Die Beamten nahmen bei mehreren Einsätzen über 30 Personen fest, darunter 15 gewaltbereite Anhänger der Eintracht. Zwei Gäste-Fans wurden laut Polizei krankenhausreif geschlagen.
Fans und Verein durch Europapokal-Erlebnisse zusammengeschweißt
Trotz dieser hässlichen Seiten eines kleinen Teils der Anhänger ist das gesellschaftspolitisches Engagement der aktiven Fanszene - beispielsweise während der Coronakrise - verbürgt.
Die Europa-League-Erlebnisse haben Verein und Anhängerschaft in Windeseile wieder verschweißt – von einer Entfremdung kann keine Rede sein. Vorstand Axel Hellmann bezeichnete die Spiele gegen Barcelona als "Glockenschläge zum Wachwerden nach den schwierigen Corona-Jahren".
Flüge zum Finale sind schon ausgebucht
Der Höhepunkt könnte das Europa-League-Finale am 18. Mai in Sevilla werden, für das sich die nächste "Adler-Invasion" (O-Ton Axel Hellmann) ankündigt. Flüge von Frankfurt nach Andalusien rund um diesen Termin sind jedenfalls ausgebucht.
- Europa League in Zahlen
Alle Spiele, alle Tore: Ergebnisse, Tabellen und Statistiken