Aktiver WM-Boykott: Volle Ränge beim "ehrlichen Fußball"

    Aktiver WM-Boykott:Volle Ränge beim "ehrlichen Fußball"

    von Ralf Lorenzen
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    Die DFB-Elf ist raus aus der WM - zu Hause purzeln die Rekorde: beim Frauen- und Amateurfußball, oder auch beim Futsal und Rollstuhlbasketball. Überall dort, wo Fans mobil machen.

    Werders Fans in der Ostkurve haben ein Banner für die Frauen aufgehängt
    20.400 Fans sahen im Weserstadion die Bundesliga-Partie zwischen den Werderanerinnen und Freiburg.
    Quelle: dpa

    Eigentlich war es ein vertrautes Bild in Hamburg: 600 bis 700 HSV-Fans marschierten - eskortiert von einer Hundertschaft der Polizei - zu einem Derby gegen den FC St. Pauli. Trotzdem konnte Schiedsrichter Omar Amarkhel seinen Augen kaum trauen.
    "Was ist das denn? Wahnsinn!", rief er laut einem Bericht im NDR lachend aus, als er die anrückende Menge sah.  

    Fanmarsch zum Futsal

    Diesmal war nämlich weder das Volkspark- noch das Millerntorstadion das Ziel des Fanmarsches, sondern eine Sporthalle im Stadtteil Wandsbek. Die füllte sich am Nachmittag des 20. November schließlich mit 1.300 Zuschauern. Rekord für die Futsal-Bundesliga.
    Fast zeitgleich wurde in Katar die Fußball-WM eröffnet. Spätestens als eine halbe Stunde vor Spielbeginn in Wandsbek neben dem Transparent mit den Farben des Hamburger SV eines mit der Aufschrift "Boycott Qatar" entrollt wurde, war der Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen klar.

    Aufruf zum aktiven Boykott

    "Ein einfacher Boykott genügt uns nicht. Wir wollen für etwas sein und ehrlichen Sport unterstützen", sagte Simon Philipps, Mitglied der Abteilungsleitung beim HSV Supporters Club, gegenüber ZDFheute.
    Die Supporters haben ihre 65.000 Mitglieder gemeinsam mit dem Förderkreis Nordtribüne zum Besuch eines fünfteiligen Alternativ-Programms zur Fußball-WM in Katar aufgerufen.

    Der Breitensport ist das Gegenteil von dem, was in Katar passiert. Gleichzeitig hoffen wir, die Fans für den Sport in den anderen Abteilungen zu begeistern.

    Simon Philipps

    Das ist offenbar gelungen. Zum Regionalliga-Spiel der Fußballerinnen des HSV gegen Hannover 96 sowie der Partie des Rollstuhlbasketball-Bundesligisten BG Baskets gegen Hannover United, die beide zum Programm gehörten, kamen jeweils rekordverdächtige 500 Zuschauer."

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    Zuschauer-Rekord für Regionalliga Nord

    Nicht zum Alternativ-Programm gehörte das Regionalliga-Spiel der U23 des HSV beim VfB Lübeck am vergangenen Wochenende. Es geriet aber in den Sog der Anti-WM-Stimmung in der Fanszene. 1.500 angereiste HSV-Fans trugen dazu bei, dass der von den Lübeckern angekündigte Rekord für die Regionalliga Nord mit 7.500 Zuschauern gelang. "Regionalliga statt WM, Fußballfest auf der Lohmühle statt vor dem TV", hieß es auf der VfB-Website und der Vorstandsvorsitzende Christian Schlichting sagte nach dem Spiel:

    Flutlicht und ehrlicher Fußball - das ist das, was die Leute sehen wollen.

    Christian Schlichting

    Am WM-Eröffnungstag empfingen auch die Regionalliga-Frauen des 1. FC Nürnberg, die sonst vor gut 100 Fans antreten, sensationelle 17.300 Zuschauer im Max-Morlock-Stadion zum DFB-Pokal-Spiel gegen den VfL Wolfsburg.
    Gegen denselben Gegner zog der 1. FC Köln eine Woche später 5.400 Zuschauer ins Franz-Kremer-Stadion. Einen Tag vorher empfingen die Fußballerinnen von Werder Bremen bei ihrer Premiere im Weserstadion gegen den SC Freiburg 20.400 Fans. Damit verfehlten sie den bisherigen Rekord beim Saison-Eröffnungsspiel der Frauenfußball-Bundesliga in Frankfurt nur knapp. 

    Ultra-Choreos beim Frauenfußball

    Der enorme Zuspruch beim Frauenfußball hat in erster Linie mit dessen Boom nach der EM in England zu tun. Aber auch in Nürnberg, Köln und Bremen riefen die aktiven Fans der Männer-Profis zum Besuch auf und empfingen die Spielerinnen mit Kurven-Choreografien. Das Weserstadion war spürbar vom Willen beseelt, das Spiel zu einem Fest zu machen, mit dem der Fußball selbst gefeiert wird.

    Schon nach dem neunten Spieltag sind insgesamt so viele Menschen wie nie in die Stadien der höchsten deutschen Spielklasse geströmt. Laut DFB haben bislang 173.438 Fans die Spiele besucht, das seien bereits rund 17.000 mehr als in der Rekordsaison 2013/14, als die Marke nach 22 Spieltagen bei 156.355 lag.
    Der Rekordwert für die meisten Zuschauer in einer Partie fiel bereits im Eröffnungsspiel zwischen Eintracht Frankfurt und Bayern München, als 23.200 Fans in die Frankfurter Arena kamen. Das Spitzenspiel zwischen dem VfL Wolfsburg und den Münchnerinnen verfolgten am 5. Spieltag 21.287 Menschen. Auch die Partien zwischen Werder Bremen und dem SC Freiburg im Weserstadion (20.417) sowie das Duell Wolfsburg - Frankfurt am vergangenen Spieltag (14.027) trugen zum Rekord bei.

    Die HSV-Supporters werben während der WM noch für die Besuche der dritten Männer-Fußballmannschaft sowie des Eishockey-Teams.  

    Es gibt bei vielen Menschen großen Frust über den Profifußball. Katar ist der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

    Simon Philipps

    Auf ZDF-Nachfrage beim Norddeutschen Fußball-Verband lässt sich für die Norddeutschen Landesverbände allerdings kein flächendeckender Trend für einen erhöhten Besuch des Amateurfußballs während der WM nachweisen. Aber das läuft ja auch ohne deutsche Beteiligung noch bis zum 18. Dezember.

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