Deutschland ist mit acht Siegen der Rekordeuropameister im Frauenfußball. Doch von der Dominanz früherer Tage ist nicht mehr viel übrig. Die Ursachen sind vielschichtig.
Zuletzt strauchelte das DFB-Team häufiger, so wie hier Jule Brand bei der Niederlage in Serbien.
Quelle: Darko Vojinovic/AP/dpa
In ihrer Funktion als Abteilungsleiterin Frauenfußball für den europäischen Verband UEFA hat Nadine Keßler einen guten Überblick über die Entwicklungen. Die ehemalige deutsche Nationalspielerin wird bei der EM in England so viele Spiele wie möglich sehen. "Das Niveau ist enorm gestiegen. Sowohl auf Nationalmannschafts- als auch auf Klubebene", sagt die 34-Jährige, "ich hätte keine Chance mehr, da mitzuhalten."
Viele Teams mit Titelambitionen
Dass so viele Mannschaften Titelambitionen anmelden findet Keßler "super". Sie muss sich nicht mal verstellen, um Deutschland nicht die Favoritenrolle zuzuschreiben. Beim bislang letzten EM-Titel 2013 war Keßler mit dabei. Damals trotzte die DFB-Auswahl unter Bundestrainerin Silvia Neid zahlreichen Ausfällen und baute einen besonderen Teamgeist auf.
Deutschlands Frauen treffen in der EM-Vorrunde auf Finnland, Dänemark und Spanien. Alle Begegnungen der Europameisterschaft in England im Überblick.
Heute sagt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg:
Spanien, England, Frankreich, die Niederlande, Schweden, Dänemark, Norwegen und Deutschland haben das Potenzial den Titel zu holen, Das gab es in der Form, zumindest aus meiner sportlichen Perspektive, noch nie.
Martina Voss-Tecklenburg
DFB-Elf kein Topfavorit mehr
Zu den Topfavoriten zähle der achtfache Europameister "vielleicht nicht mehr", räumte Voss-Tecklenburg bei der Kaderbekanntgabe ein. Zudem merkte sie an, "dass viele Menschen zu wenig aufgeklärt darüber sind, wie sehr sich der Frauenfußball entwickelt hat. Dass Deutschland immer gewinnt, ist kein Selbstläufer."
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Wer sich mit der 54-Jährigen ausführlich unterhält, bekommt eine Reihe von Erklärungen geliefert, warum die Vormachtstellung verspielt wurde. Das geht mit der Mentalität los, die noch in ihrer aktiven Zeit eine besondere Generation nach dem ersten EM-Titel 1989 ausstrahlte.
Blick auf eine goldene Vergangenheit
Mit Rekordtorjägerin Birgit Prinz, damals die prägende Figur und heute als Teampsychologin dabei, unterhält sich Voss-Tecklenburg häufiger, wie dieser absolute Wille, sich täglich zu verbessern und Widerstände zu überwinden, übertragen werden kann. Aber das geht nicht so leicht.
Wir wollen ja nicht immer von früher reden.
Martina Voss-Tecklenburg
"Ich glaube ja immer noch, dass auch wir eine richtig gute Mannschaft bei der EM sein werden, wenn unsere Spielerinnen eine innere Überzeugung von ihrer Leistungsfähigkeit besitzen. Da sind uns andere Nationen vielleicht ein bisschen voraus", so die Bundestrainerin.
Zahl der Spielerinnen sinkt
Fakt ist auch, dass es an der Basis bröckelt. Zuletzt teilte der DFB mit, dass von seinen 7,17 Millionen Mitgliedern 2,2 Millionen auf den Plätzen aktiv seien - darunter aber befinden sich nur 187.000 Spielerinnen. Der Rückgang in einigen Kreisen und Landesverbänden ist erschreckend, es gibt fast 100.000 Frauen und Mädchen weniger als vor fünf Jahren, die Fußball spielen.
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"Was machen wir denn, wenn die Zahl noch weiter absinkt?", fragt Voss-Tecklenburg. "Natürlich könnte man auch mit weniger Spielerinnen noch erfolgreich sein, aber einer unserer Aufträge ist ja, Erfolge zu erzielen und eine Strahlkraft nach unten zu haben."
Auch der DFB hat Fehler gemacht
Nationen wie England und Spanien sind strukturell teilweise besser aufgestellt, was die Verzahnung von Schulen, Vereinen und Verband angeht. Der DFB gibt selbstkritisch zu, sich nach der Heim-WM 2011 vielen Themen nicht intensiv genug gewidmet zu haben.
Die wichtigsten Szenen des Frauenfußball-Länderspiels Deutschland - Schweiz mit dem Originalkommentar von Claudia Neumann.24.06.2022 | 5:49 min
"Die vergangene Dominanz ist dahin", gesteht Joti Chatzialexiou, der Sportliche Leiter Nationalmannschaft beim DFB. Dass der Verband in der Vergangenheit Fehler gemacht hat, "wir Dinge verschlafen haben", liegt für ihn auf der Hand. Falsche Zeichen und Gewichtung in der Jugendarbeit, in der Ausbildung fallen ihm da ein.
Kurz vor Beginn der Fußball-EM sind noch nicht alle im Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bei 100 Prozent ihres Leistungsvermögens.28.06.2022 | 0:50 min
Für die rechte Hand von DFB-Direktor Oliver Bierhoff bezieht die EM gerade daraus ihren Reiz, dass es so viele Favoriten gibt. Deshalb fährt der 46-Jährige mit "einer freudigen Erwartung und einem großen Lächeln nach England, weil uns von der Atmosphäre und Organisation ein tolles Turnier erwartet". Vielleicht aber erneut mit einem Europameister, der nicht Deutschland heißt.
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