Für den deutschen Profifußball geht es in der Coronakrise derzeit um viel. Weil der wirtschaftliche Druck täglich steigt, gibt es für eine Saisonfortsetzung keine Denkverbote mehr.
Am Dienstag beraten die Vertreter der 36 Profivereine in der Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball-Liga (DFL) darüber, wie die Saison 2019/20 zu Ende geführt werden könnte.
DFL-Krisentreff ohne Körperkontakt
Gleich gegenüber vom Terminal 1 am Frankfurter Flughaften hat am 16. März die erste außerordentliche Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zur Coronakrise stattgefunden. Bernd Hoffmann, damals noch Vorstandschef des Hamburger SV, versuchte an jenem Dienstag die schwere Tür zum Sitzungssaal mit dem Ellbogen zu öffnen, was ihm aber ebenso wenig gelang wie vergangen Samstag seinen wackligen Posten in dem notorisch unruhigen Traditionsverein zu retten.
Zutritt zum großen Konferenzraum verschaffte sich Hoffmann damals trotzdem. Es war das vorerst letzte Mal, dass sich die Entscheider des deutschen Profifußballs körperlich bedenklich nahe kamen. Gedanken zum Schutz vor einer Ansteckung muss sich beim nächsten Krisentreff niemand mehr machen: Die zweite Versammlung dieses Monats wird per Videokonferenz unter den Machern abgehalten.
Das Coronavirus hat den Fußball zum Erliegen gebracht. Für viele Klubs ist die Frage, wie es weitergeht, eine Frage des Überlebens. Alle sind sich darin einig, dass Solidarität jetzt kein leeres Versprechen bleiben darf.
Druck steigt durch Corona täglich
Als sicher gilt, dass in der digitalen Schalte die 36 Lizenzvereine der Empfehlung des neunköpfigen DFL-Präsidiums einstimmig folgen, den Spielbetrieb bis mindestens zum 30. April auszusetzen. Von einer "Atempause" spricht Alexander Wehrle, Geschäftsführer des 1. FC Köln. Gleichzeitig steigt aus wirtschaftlichen Gründen von Tag zu Tag der Handlungsdruck, die nach 25 Spieltagen unterbrochene Saison irgendwie noch fortzusetzen. Jeder Klub war aufgefordert, der Liga-Organisation sein Worst-Case-Szenario zu übermitteln. Eine Anpassung der Lizenzierungsregeln gilt als wahrscheinlich.
Denn ein vorzeitiger Saisonabbruch würde Minimum 750 Millionen Euro kosten und dem Vernehmen nach ein halbes Dutzend Erstligisten in echte Schwierigkeiten bringen. Die Modellrechnung ist bei einem Verein mit annähernd 300 Millionen Euro Jahresumsatz - das ist die Größenordnung von Eintracht Frankfurt - relativ simpel: 25 Millionen würden fehlen, wenn die Saison mit Geisterspielen zu Ende gebracht werden könnte, rund 50 bis 70 Millionen würde ein Abbruch kosten und gar mehr als 100 Millionen würden fehlen, wenn im ganzen Kalenderjahr nicht gespielt werden kann. DFL-Chef Christian Seifert hat den "Kampf ums Überleben" ausgerufen.
Das Brot-und-Spiele-Prinzip
Der Profifußball nutzt zwei Argumentationsstränge, seine Saison noch durchzupeitschen, sofern der politischen Rahmen erste Ausnahmen erlaubt: Zum einen ist von der "Verantwortung für einen Wirtschaftszweig mit 56.000 direkt und indirekt Beschäftigten" die Rede. Tatsächlich geht es weniger um die gut bezahlten Profis, sondern die Angestellten auf der Geschäftsstelle oder im Fanshop, Teilzeitkräften beim Catering, beim Putzdienst oder bei den Sicherheitsdiensten.
Zum anderen spielt der Fußball seine Karte aus, er sei das "letzte Lagerfeuer für die Gesellschaft", wie Funktionäre gerne sagen. Fredi Bobic, Sportvorstand von Eintracht Frankfurt, kann sich vorstellen, dass dann an jedem Abend Spiele stattfinden. Zur Primetime von Montag bis Sonntag. Das Brot-und-Spiele-Prinzip, um das (Fußball-)Volk bei Laune zu halten. Sollte die Kurve der Infizierten abflachen, findet auch Hans-Joachim Watzke, Vorstandschef bei Borussia Dortmund, habe der Fußball "wieder eine wichtige soziale, gesellschaftliche Funktion".
UEFA öffnet mehr Handlungsspielraum
Mit der Verlegung der DFB-Pokal-Halbfinals, vorgesehen am 21./22. April hat der DFB ein Zeichen gesetzt, dass dieser Wettbewerb in der Prioritätenliste hintendran steht. Die UEFA hat nun über Präsident Aleksander Ceferin die generelle Ausweitung der Saison bis in den Sommer ins Spiel gebracht. "Wir könnten Mitte Mai, Anfang Juni oder Ende Juni starten. Wenn wir nichts davon schaffen, bringen wir die Saison wahrscheinlich nicht zu Ende."
Die DFL arbeitet derweil nach eigenen Angaben "unter Hochdruck an Konzepten, Spiele zu gegebenem Zeitpunkt auch ohne Stadionzuschauer und mit einem Minimal-Einsatz von Arbeitskräften in den Bereichen Sport, allgemeine Organisation und Medien durchzuführen". Die Vereine müssten ihren rund 50 Personen umfassenden Staff reduzieren, weitere Berührungspunkte würden minimiert. Automatisierte Kameras könnten teilweise zum Einsatz kommen, Pressekonferenzen würden entfallen, die Spiele aus dem Fernsehstudio kommentiert.
Planspiele auf wackligen Füßen
Weil Flüge und Bahnreisen nicht infrage kommen, gibt es Überlegungen, direkt mit dem Mannschaftsbus ins Stadion zu fahren. Dem Vernehmen ist auch über Miniturniere an wenigen Standorten gesprochen worden, wobei die Teams in ausgesuchten Herbergen quasi kaserniert werden. Profifußball unter klinischen Bedingungen, damit der Erreger kein Einfallstor vorfindet. Watzke warnt an dieser Stelle aber, "nicht immer mehr ins Absurde abzugleiten". Trotz der Suche nach einer virenfreien Zone bliebe das Risiko, dass eine Ansteckung innerhalb der Mannschaft oder des Teams hinter dem Team zu einer Quarantäne führen würde. Und wird ein Krankheitsfall erst nachträglich publik, wäre auch der Gegner betroffen. Was zeigt, auf welch wackligen Füßen alle Planspiele stehen.