Menschenrechte und Sport: "Druck muss hochgehalten werden"

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    Menschenrechte und Sport:Burgheim: "Druck muss hochgehalten werden"

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    Menschenrechte im Sport - keinesfalls nur ein Thema mit Blick auf die WM in Katar. Auch in Deutschland gebe es Menschenrechtsherausforderungen, sagt Politik-Berater Jonas Burgheim.

    Katar, Doha, Lusail Boulevard
    Die WM in Katar steht weiterhin in der Kritik.
    Quelle: Imago

    ZDFheute: Der Außenminister des Landes Katar hat die deutsche Kritik an der Menschenrechtssituation in seinem Land als rassistisch und Ausdruck von Doppelmoral bezeichnet. Was halten Sie davon?
    Jonas Burgheim: Selbstverständlich bestehen in Katar beim Schutz diverser Menschenrechte gravierende Defizite, etwa bei den Frauenrechten und den Rechten für sexuelle Minderheiten. Im Bereich des Arbeitsrechtes hat es seit 2020 zwar formelle Reformen wie die Einführung eines Mindestlohns gegeben, die werden aber in der Praxis bislang unzureichend umgesetzt.

    Jonas Burgheim, Jurist (LL.B., LL.M.) mit Schwerpunkten Menschenrechts-, Außenhandels- und Public Policy.
    Quelle: privat

    Jonas Burgheim ist Jurist (LL.B., LL.M.) mit Menschenrechts-, Außenhandels- und Public Policy-Schwerpunkt. Der Fokus seiner Arbeit liegt im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte. Seit 2020 ist er ehrenamtlicher Präsident des gemeinnützigen Zentrums für Menschenrechte und Sport e.V..
    Der 2020 gegründete Verein will Handlungsanstöße dafür leisten, was in Deutschland künftig getan werden kann, damit Menschenrechte im Sport und bei Sportgroßveranstaltungen eine größere Rolle spielen.

    Es wäre jedoch zu leicht, nur darauf zu zeigen. Denn: Auch deutsche Firmen sind in Katar aktiv, unter anderem beim Stadionbau. Solange massive wirtschaftliche und energiepolitische Interessen in Katar wahrgenommen werden, kann man den Vorwurf der Doppelmoral schwer entkräften. Mit Blick auf die WM bräuchte es dazu mindestens eine menschenrechtsgeleitete deutsche Sportpolitik.
    Manu Thiele
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    ZDFheute: Der DFB hat vor einigen Tagen mit elf anderen europäischen Verbänden der FIFA in einem Brief mitgeteilt, dass man sich auch weiter für einen Entschädigungsfonds für die Familien getöteter Gastarbeiter sowie eine Gastarbeiterzentrale einsetzen werde. Reicht das, um den Druck hochzuhalten?
    Burgheim: Ich halte es für erheblich, dass so einflussreiche Sportverbände wie der DFB sich gegenüber der FIFA positionieren und deutlich machen, dass im Kontext der WM weiter auf das Thema Menschenrechte geachtet und hingewiesen wird.
    Dazu hat sich der DFB 2021 mit Annahme seiner Menschenrechts-Policy auch verpflichtet. Damit ist er im organsierten Sport einer der Vorreiter, aber noch längst nicht so weit, selbst durchgehend danach zu handeln. Der Druck muss also insgesamt hochgehalten werden.
    ZDFheute: Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine strikte Beachtung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte bei Vergabe und Ausrichtung von internationalen Sportgroßveranstaltungen angekündigt. Welche Umsetzungsschritte gibt es seitdem?
    Burgheim: Allgemeine Änderungen der Sportpolitik, die eine deutlich stärkere Betonung der Menschenrechte bringen, stehen aus. Leitlinien für Menschenrechte und Sportgroßveranstaltungen wurden bislang nur in Aussicht gestellt. Die Bundesregierung und der DFB als Teilhaber der Euro 2024 GmbH unternehmen Anstrengungen, sich mit Blick auf die Euro zu wappnen, den Anforderungen aus Koalitionsvertrag und UN-Leitprinzipien gerecht zu werden.
    Die Euro 2024 GmbH hat selbst angekündigt, die Menschenrechte in allen Beschaffungshandlungen und Lieferketten zu achten. Bundesregierung und DFB müssen sich daran messen lassen.

    Wichtig ist die Feststellung, dass auch hierzulande Menschenrechtsherausforderungen bestehen.

    Jonas Burgheim

    ZDFheute: Welche sind das?
    Burgheim: Menschrechtsfragen werden oft durch Lieferketten in fernen Regionen der Welt berührt, wie zum Beispiel bei der Produktion von Merchandise-Artikeln, Bällen oder Trikots in Ländern wie Pakistan und Bangladesch, die wir dann hier kaufen.
    Außerdem wird unterschätzt, welche Bandbreite an menschenrechtlichen Herausforderungen im deutschen Sport besteht. Das reicht von der Einschränkung politischer Meinungsäußerungen in Stadien und Arenen, über Athlet*innen-Rechte wie körperliche Unversehrtheit und Gesundheit bis hin zu Diskriminierung und Inklusion.
    Im Vordergrund Nachbildung des FIFA WM-Pokals zwischen zwei Paar Schuhen. Im Hintergrund arabische Männer im Halbkreis sitzend.
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    ZDFheute: Brauchen wir dafür neue Gesetze oder reichen Selbstverpflichtungserklärungen wie beim DFB?
    Burgheim: Die Lehre aus dem Bereich Wirtschaft und Menschenrechte ist, dass Freiwilligkeit nicht ausreicht. Wir fordern eine Nachschärfung des Lieferkettengesetzes mit Blick auf den Wirtschaftsbereich Sport und die Aufnahme des Sports in einen überarbeiteten Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte.
    Die Politik hat zudem über die Sportförderung einen Hebel in der Hand, die Achtung der Menschenrechte zum Kern des sozialen Selbstverständnisses im Sport zu machen.
    Das Gespräch führte Ralf Lorenzen.
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    Quelle: ZDF
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