Nach dem WM-Aus: Der Schmerz der goldenen Generation

    Kimmich am Boden zerstört:Der Schmerz der goldenen Generation

    von Maik Rosner, Doha
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    Kimmich und die anderen aus dem 95/96er-Jahrgang galten als Versprechen. Nach dem erneuten WM-Aus fürchten sie, dass sie ohne Titel später einmal als gescheitert gelten könnten.

    Joshua Kimmich (r) und Leon Goretzka
    Joshua Kimmich (r) und Leon Goretzka stehen nach dem WM-Aus enttäuscht auf dem Stadionrasen. Besonders Kimmich macht die Blamage schwer zu schaffen.
    Quelle: epa

    In seinen Augen war regelrecht der Schmerz zu erkennen. Joshua Kimmich versagte kurz die Stimme, als er über das erneute WM-Aus sprach, über den dritten frühen Turnierabschied in Serie. Schon wieder nach der Gruppenphase, wie bei der WM 2018. Bei der EM 2021 hatte es wenigstens fürs Achtelfinale gereicht. Kimmich holte jetzt tief Luft, dann sagte er: "Für mich ist es der schwierigste Tag meiner Karriere."
    Kurz zuvor hatte Serge Gnabry mit dem Rücken zu einer Wand gestanden und damit ein Sinnbild geliefert für den Donnerstagabend. An diesem hatte die deutsche Nationalelf trotz des 4:2 gegen Costa Rica das Achtelfinale der Fußball-WM in Katar verpasst, weil Japan parallel gegen Spanien 2:1 gewann.

    Gnabry spürt "sehr viel Wut"

    "Sehr viel Enttäuschung, sehr viel Wut" verspüre er, sagte Gnabry, "so viel Talent in der Mannschaft und dann in der Gruppe ausgeschieden - das ist extrem bitter." Besonders für ihn und Kimmich, die Teil des 1995/96er-Jahrgangs sind. Dieser galt stets als Versprechen für den Deutschen Fußball-Bund (DFB). Doch die goldene Generation findet in der Nationalelf nicht ihr Glück. Sie droht mit ihr ohne Titel zu bleiben.
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    Noch ist es aber nicht so weit, es wird weitere Chancen geben. Bei der Heim-EM 2024, der WM 2026, vielleicht auch danach. Doch sie alle gehen auf die 30 zu. Auch die anderen 95er wie Leon Goretzka und Niklas Süle oder die 96er wie Leroy Sané und Julian Brandt oder auch Thilo Kehrer und Lukas Klostermann.

    Das Titel-Glück mit dem FC Bayern und Flick

    Bei der nächsten WM 2026 wird Kimmich 31 Jahre alt sein. Es dürfte wohl seine letzte WM werden. Andere, wie Jamal Musiala, 19, oder Kai Havertz, 23, haben noch deutlich mehr Zeit, dem Traum nachzujagen, als Weltmeister Legendenstatus zu erlangen.
    Es ist schon kurios: Im Verein haben Kimmich, Gnabry, Goretzka, Sané und auch Süle alles erreicht. Sie haben mit dem FC Bayern und mit dem heutigen Bundestrainer Hansi Flick 2020 die Champions League gewonnen und auch sonst alle Titel, die der deutsche und internationale Vereinsfußball hergibt.

    Kimmich empfindet WM-Aus als persönliche Niederlage

    Kimmich und Gnabry, die langjährigen Freunde aus Stuttgarter Kindheitstagen, lagen nach dem Gewinn der Champions League vor gut zwei Jahren Arm in Arm auf dem Rasen in Lissabons Estádio da Luz und schauten glückselig in den Nachthimmel. In der Nationalelf aber havarieren sie und ihre Generation regelmäßig, trotz des Bayern-Blocks.
    Das erneut frühe WM-Aus fühlt sich für den zuweilen mehr als ehrgeizigen Kimmich auch wie eine Niederlage in eigener Sache an.

    Das ist für mich persönlich nicht so einfach zu verkraften, weil man mit dem Misserfolg in Verbindung gebracht wird. Das ist natürlich nichts, wofür man stehen möchte.

    Joshua Kimmich

    Besonders nicht "in meiner Rolle mit mehr Verantwortung".

    Kimmich ist seit 2016 dabei

    Für Kimmich fühlt sich das nach Schuld an: Er wollte dafür sorgen, dass das Team weiterkommt. "Das ist mir nicht gelungen." Kimmich ist 2016 zur Nationalelf gekommen und war dabei, als sie bei der damaligen EM das Halbfinale erreichte, wie gefühlt eigentlich immer, so empfindet er das.
    Mit ihm in einer Hauptrolle habe man aber die WM 2018 "vergeigt" und dann die EM 2021 "in den Sand gesetzt", sagt er. Es wurde bei der Wüsten-WM 2022 nicht besser. Kimmich spürt, dass er Gefahr läuft, später einmal als Anführer einer goldenen Generation zu gelten, die in der Nationalelf gescheitert ist. Oder zumindest so wahrgenommen wird.

    "Angst davor, in ein Loch zu fallen"

    "Ich habe ein bisschen Angst davor, in ein Loch zu fallen", sagte er nun. Die weiteren WM-Spiele will er kaum verfolgen, das fühle sich sonst an "wie ein Aufkratzen einer Wunde“. Auch an die Heim-EM 2024 kann er noch nicht denken. Es geht für ihn erst einmal darum, den Schmerz zu überwinden und zu verarbeiten. "Damit ich hoffentlich in vier Wochen wieder die Energie habe anzugreifen." Dann beim FC Bayern, immerhin das.

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