Die Fußball-EM - Eine schwere Geburt für den DFB

    Erst verpönt - seit 1972 geliebt:Die EM, eine schwere Geburt für den DFB

    von Erik Eggers
    |

    Die Premiere der Fußball-EM verlief holprig. Top-Nationen wie die Bundesrepublik Deutschland wollten 1960 nicht mitspielen. Erst der Titelgewinn 1972 änderte den Blick des DFB.

    Die Würdigung des ersten Europameisters fiel in Deutschland sehr unterschiedlich aus. Als die Sowjetunion am 10. Juli 1960 in Paris das erste Kontinentalturnier mit einem 2:1-Sieg nach Verlängerung gegen Jugoslawien gewonnen hatte, jubelte die DDR-Sportpresse über den Sieg des "Großen Bruders", dessen größte Figur der Torwart Lew Jaschin war.

    Herberger: "Reine Zeitverschwendung"

    In den westdeutschen Zeitungen indes wurde die Premiere als schnöde Meldung abgehandelt. Der erste Europameister interessierte die Fans in der Bundesrepublik wenig. Zumal weder die DFB-Elf noch andere Großmächte wie England und Italien an dem Turnier teilnahmen. Als "reine Zeitverschwendung" hatte Bundestrainer Sepp Herberger das neue Format abgekanzelt.
    Die EM, heute ein Höhepunkt des Fußballkalenders, hatte also einen Stotterstart. Anders als in Südamerika, das seinen Meister in der Copa America schon seit 1916 ausspielte, beäugten viele Nationen den "Europacup der Nationen", wie er zunächst genannt wurde, mit Argwohn. Beinahe hätte die UEFA, die im Juni 1954 gegründet worden war, den Start 1960 sogar noch ausgesetzt.

    1960er EM stand auf der Kippe

    Der Verband hatte mindestens 16 Teilnehmer gefordert, um das Kontinentalturnier zu veranstalten, doch nach Abschluss der Meldefrist am 15. Februar 1958 waren es nur 15. Erst als Ungarn und Jugoslawien nachgemeldet hatten, wurde grünes Licht für die K.o.-Runde und ein Endturnier mit vier Teams gegeben. Den Auftakt machten am 28. September 1958 UdSSR und Ungarn (3:1).
    EM-Titel 1972
    Erst ab 1972 genoss die EM beim DFB höchste Priorität - auch, weil die Nationalmannschaft das Turnier gewann. In der Bildmitte feiern Günter Netzer, Herbert Wimmer und Horst-Dieter Höttges (von links).
    Quelle: dpa

    Die Gründe für den DFB-Boykott waren vielfältig. Einerseits endeten die Finalrunden um die Deutsche Meisterschaft in dieser Zeit noch Ende Juni. Andererseits machten die DFB-Funktionäre klar, dass man attraktive und lukrative Gegner für Freundschaftsspiele selbst aussuchen wollte.

    Zwischen zwei Weltmeisterschaften ist der Neuaufbau einer starken Nationalelf die erste Aufgabe. Ein Europaturnier stört.

    Bundestrainer Sepp Herberger

    Die Crux mit dem Amateurstatus

    Hinzu kam, dass der DFB den Amateur-Status seiner Nationalspieler mit einer EM-Teilnahme als gefährdet ansah. Damals musste jeder Fußballer - zumindest auf dem Papier- noch einen Beruf ausüben, damit das Finanzamt die Spieler nicht als Profis abstempelte.
    Diese Berufsausübung wollte man nicht aufs Spiel setzen. "Die logische Folge ist zwar ein Ja zur Weltmeisterschaft, aber keine zusätzliche Länderspielserie", erklärte DFB-Funktionär Hans Körfer.

    Auch 1964 ohne deutsche Mannschaft

    Aus diesen Gründen hielt sich der DFB auch 1964 vom "Europacup der Nationen" fern, obwohl inzwischen fast alle UEFA-Mitglieder teilnahmen. Sieger der zweiten Ausgabe war der Endrundengastgeber Spanien, der das Finale gegen die Sowjetunion 2:1 gewann.
    Obwohl auch Herberger-Nachfolger Helmut Schön dem Europaturnier wenig abgewinnen konnte, nahm die DFB-Elf bei der dritten Ausgabe zum ersten Mal teil.

    Debakel in Albanien

    1968 wurde das Turnier erstmals unter dem Namen der UEFA ausgetragen und hieß nun erstmals "Europameisterschaft". Für die DFB-Elf endete die Qualifikation in einem der größten Desaster ihrer Geschichte. Mit dem 0:0 am 17. Dezember 1967 in Tirana gegen Albanien schied das Team aus.
    Viele Jahre später erinnerte sich Günter Netzer mit Grausen an sein sechstes Länderspiel in Albanien, dessen kommunistisches Regime sich seinerzeit komplett abschottete. "Das Wort Fußballplatz möchte ich gar nicht benutzen. Das trifft es gar nicht", so Netzer: "In Tirana gab es nur ein einziges Hotel, wir hatten kaum etwas zu essen."

    Legendärer Sieg 1972 in Wembley

    Gut vier Jahre später zählte eben jener Mittelfeldspieler zu den großen Figuren im berühmten EM-Viertelfinalhinspiel am 26. April 1972 in Wembley. Die Schön-Elf siegte mit 3:1. Es war der erste Sieg einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft in England.
    "Und Netzer kam aus der Tiefe des Raumes", dichtete damals ein Feuilletonist. Damit war der westdeutsche Fußball im Turnier angekommen. Kurz darauf wurden Beckenbauer, Müller & Co. erstmals Europameister.
    Thema

    Fußballgrößen einst und jetzt