Gibt es den einen richtigen Zeitpunkt, um die Sporttasche an den Nagel zu hängen? Italiens Torwartlegende Gianluigi "Gigi" Buffon beweist: Darauf kommt es nicht an. Eine Würdigung.
Eigentlich hätte das ein Text über einen Fußballer werden sollen, der die Zelte abbricht, obwohl er gar nicht will. Über einen, der einfach nicht aufhören kann.
Einer wie Jordan und Schumacher
Und darüber, ob es den richtigen Zeitpunkt, um aufzuhören, überhaupt gibt. Ein Thema, das schon Michael Jordan und Michael Schumacher weglächelten. Auch sie kamen wieder.
Doch dann: Mittwochabend. Finale der Coppa Italia. Gianluigi Buffon, 43 Jahre alt, stellt sich gegen Atalanta zum wohl allerletzten Mal ins Tor von Juventus Turin. Pariert, treibt an. Signalisiert wie eh und je mit Schnute und flacher Hand: Es ist alles unter Kontrolle.
Ungebrochene Freude
Ein "letzter Tanz", frei nach Jordan. Und schließlich: Ein Mann, der sich über seinen sechsten Pokalsieg freut, als wäre es der erste seiner 28 Titel – weil er weiß, dass es diesmal wirklich der letzte sein wird.
Seine Mitspieler tragen ihn auf Händen. Siegtorschütze Federico Chiesa etwa, der bei Buffons Debüt im Nationalteam 1997 vier Tage alt war. Dessen Vater Enrico mit Buffon und Parma die Coppa und den UEFA-Cup gewann. 1999.
Hat's mal wieder allen gezeigt
"Gigi" - der seinem Herzensklub Juve schon einmal, 2018, "Arrivederci" gesagt hatte - hat es wieder allen gezeigt: Es gibt immer einen Grund, weiterzumachen.
Nach dem Pokalsieg postet Buffon: "Das perfekte Finalspiel, das perfekte Ende." Und die perfekte Antwort auf alle, die den Routinier nicht erst seit seinem Bandscheibenvorfall bei der WM 2010 als "zu alt" betitelten.
Buffons neues Torwartspiel
"Ist Gigi immer noch ein großer Torwart?", fragte der "Corriere della Sera" vor Buffons Comeback im Februar 2011.
Er war es. "Gigi", der 2006 als Weltmeister Juves Zwangsabstieg in die Serie B mitmachte, holte sich den Weltklassestatus zurück - und das, obwohl sein Torwartspiel inzwischen überholt war.
Buffon lernte mitzuspielen. Nicht so stilprägend wie Manuel Neuer - doch die Torwartlegende, die mit Libero und Manndecker aufwuchs, kam in der Neuzeit an. Buffons vielleicht größte Leistung als Fußballer.
Mit irren Reflexen hielt Oliver Kahn Schüsse in höchster Not. An der Weltspitze zeigen heute mitspielende Torhüter wie Manuel Neuer, auf welche Qualitäten es ankommt.
Titel und Tränen
Der Preis dafür: viele Titel und Auszeichnungen - aber auch Tränen. Das Bild des knienden Buffon, dem Jonas Hectors Elfmeter im EM-Viertelfinale 2016 durchrutschte, ging um die Welt.
Vor der Abreise von der EM war Buffon wieder den Tränen nahe: Einer musste die wartenden Tifosi ja drücken. Diese Menschlichkeit zementierte den Mythos, während die verlorenen Champions-League-Finals 2003, 2015 und 2017 zum Antrieb wurden.
Traum(a) Champions League
Nach dem ersten Abschied von Juve ließ sich Buffon auf Paris ein. Der Traum vom letzten fehlenden Titel in seiner Sammlung platzte im Achtelfinale. Zurück bleibt aber auch hier: Bewunderung.
Kritisch beäugte Rückkehr
Die Rückkehr nach Turin 2019 als Nummer zwei hielten nicht wenige für zu viel des Guten. Was war aus Buffons Worten an seinem schwärzesten Fußballertag geworden? Nach dem WM-Playoff-Aus der Azzurri gegen Schweden 2017 hatte er weinend erklärt, die Zeit für einen Neuanfang sei gekommen.
Im März 2018 stand Buffon wieder im Tor der Nationalmannschaft. Nach lauter Kritik machte der 176-fache Nationalspieler den Weg frei.
Ein "verrücktes Angebot"
Jetzt lässt "Gigi" los. Wieder. Wirklich. Okay: vorerst. Beim Saisonabschluss in Bologna sitzt er auf der Bank. Dass sein angekündigtes Aus bei Juve aber nicht das Karriereende sein muss, stellt Buffon seitdem verdächtig oft klar.
Nach dem Pokalsieg sprach er von einem "verrückten Angebot". Ersatzmann bei einem Champions-League-Favoriten? Berlusconis AC Monza in der Serie B? Es fällt schwer zu glauben, dass "Gigi" keinen weiteren letzten Tanz dranhängt.