Vor der letzten EM-Hauptrundenpartie gegen Russland (18 Uhr/ZDF) fällt eine sportliche Bilanz schwer. Die größte Baustelle ist für Bundestrainer Alfred Gislason der Rückraum.
60 Minuten müssen die deutschen Handballer noch irgendwie überstehen - die Reste des Teams, die bei Anpfiff des letzten EM-Hauptrundenspiels gegen Russland um 18 Uhr noch spielfähig sein werden. Es ist anzunehmen, dass diese Reste wie schon gegen Schweden (21:25) zwar alles geben, aber am Ende physisch nicht mehr standhalten werden.
Für die von 15 Coronainfektionen geplagte deutsche Handball-Nationalmannschaft ist die EM 2022 gelaufen. Zum Hauptrundenabschluss tritt das DHB-Team gegen Russland an.
Durch die beiden positiven Corona-Fälle von Simon Ernst und Patrick Wiencek am Montag wurde der zweifache Europameister auf 14 Profis dezimiert, und darunter ist jemand wie Hendrik Wagner, der nach seiner Corona-Infektion offensichtlich nicht spielfähig ist. Speziell im Mittelblock gehen Bundestrainer Alfred Gislason die Alternativen aus.
Für DHB-Team geht es um Rang sieben
Sportlich geht es für die DHB-Auswahl (2:6-Punkte) nach dem vorzeitigen Halbfinal-Aus um nicht mehr viel. Sie könnte mit einem Sieg gegen Russland (3:5) noch den siebten Platz belegen. In den letzten 60 Minuten geht es vor allem darum, dieses bizarre Turnier einigermaßen würdevoll zu Ende zu bringen.
Es dürfte sich für die Verantwortlichen um DHB-Sportvorstand Axel Kromer kompliziert gestalten, aus dieser EM irgendwelche sportlichen Rückschlüsse zu ziehen. Schließlich sind vom ursprünglichen 17er-Kader nach insgesamt 15 positiven Corona-Tests nur vier Profis übriggeblieben: Neben Golla sind dies die Rückraumspieler Julian Köster, Philipp Weber und Rechtsaußen Lukas Zerbe.
Deutschland - Schweden 21:25, 3. Spieltag, Zusammenfassung
Köster fällt auf: "Der Junge ist der Wahnsinn"
Insbesondere der 21-jährige Köster, der für den VfL Gummersbach in der 2. Liga aufläuft, nutzte die Einsatzzeiten auf Halblinks, die sich durch die Ausfälle von Julius Kühn und Sebastian Heymann ergaben. "Ich kannte ihn überhaupt nicht, habe ihn hier zum ersten Mal gesehen", sagte Kiels Linksaußen Rune Dahmke. "Der Junge ist der Wahnsinn."
Der Zwei-Meter-Mann brillierte im letzten Vorrundenspiel gegen Polen, und auch in den weiteren Spielen deutete er mit seiner Intuition und Beweglichkeit sein Potenzial an. Bundestrainer Gislason glaubt, dass der Rheinländer gerade auf der vorgezogenen Abwehrposition in Zukunft einen Part spielen kann wie Topspieler Domagoj Duvnjak bei den Kroaten.
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Köster könne sich, da er auch über ein gutes Auge für den Mitspieler verfüge, zu einem kompletten Spieler entwickeln, meinte Gislason. Freilich muss sich Köster körperlich noch etwas Substanz zulegen, um sich im harten Profigeschäft dauerhaft durchzusetzen. Die Vergleiche mit dem glorreichen 1978er-Weltmeister Joachim Deckarm, die bereits in den Medien angestellt werden, sind jedenfalls (noch) unangebracht.
Qualität im Rückraum fehlt
Zwei Jahre vor der EURO im eigenen Land bleibt der Rückraum trotz Köster das größte Problem des deutschen Handballs. Hier fehlt es offenkundig an Qualität - aktuell läuft in diesem zentralen Mannschaftsteil kein deutscher Profi in der Champions League auf.
Der Magdeburger Philipp Weber ist mit der Spielsteuerung auf Rückraum Mitte schnell überfordert und an sich auf der halblinken Position besser aufgehoben. Bedauerlich ist, dass der Leipziger Luca Witzke, der das Angriffsspiel besser strukturieren kann, schon früh wegen Corona passen musste.
Island als Vorbild für den DHB
Wie eklatant die individuellen Mängel im deutschen Rückraum sind, illustriert ein Blick auf das kleine Island, das hier unfassbar viele hochkarätige Talente produziert und bei der EM trotz vieler Ausfälle - auch Islands Star Aron Pálmarsson musste zusehen - den Olympiasieger Frankreich demontierte.
Die erste große Überraschung in der Hauptrunde der Handball-EM ist perfekt: Island erteilte Olympiasieger Frankreich beim 29:21 (17:10) eine kräftige Abfuhr.
Es stellt sich die Frage, warum der DHB nicht überragende Profis wie den Linkshänder Omar Ingi Magnusson entwickeln kann, der trotz durchschnittlicher Physis mit Cleverness und Schlauheit die Gegner schwindelig spielt. Schließlich hat der DHB doppelt so viele Mitglieder wie Island Einwohner.
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