Vor dem Halbfinale im DFB-Pokal gegen den SC Freiburg (heute um 20:45 Uhr) hoffen die Fans des Hamburger SV auf den ersten Titelgewinn seit 35 Jahren.
Mit dem Satz hat Hamburgs Bürgermeister dem HSV keinen Gefallen getan. Bei einem Besuch in Dubai beim damaligen HSV-Sponsor Emirates Airline kündigte Peter Tschentscher an, im Falle des Aufstiegs werde man diesen in Hamburg auf dem Rathausbalkon feiern. Das war im Januar 2019 und der Hamburger SV startete als Tabellenführer in die Rückrunde seiner ersten Zweitliga-Saison.
HSV ist angekommen in der Realität
Gut drei Jahre später spielt der HSV immer noch in der 2. Liga. Auch nach dem 3:0 gegen den Karlsruher SC am Samstag beträgt der Rückstand des Tabellensechsten auf den Relegationsrang noch fünf Punkte. Die damalige Ankündigung des Bürgermeisters wirkt aus heutiger Sicht wie ein letztes Aufflackern eines jahrelangen Realitätsverlustes, in dem der Klub sich immer kurz vor der Rückkehr in die Champions League wähnte und dabei stetig weiter absackte.
Der Hamburger SV hat sich im Kampf um den Aufstieg zurückgemeldet. Gegen den Karlsruher SC setzte sich der HSV mit 3:0 durch. 60 Minuten agierte der KSC dabei in Unterzahl.
In dieser Saison scheint der HSV allerdings im Hier und Jetzt angekommen zu sein - auch verbal. "Entwicklung" heißt das neue Zauberwort und nicht mehr "Europa". Geblieben ist der Jubel auf dem Rathaus-Balkon als Chiffre für einen großen Traum.
Aufstieg ist für Fans zweitrangig
Und ausgerechnet in diesem Jahr, in dem der Klub sich frühzeitig bemüht, den wohl erneuten Nicht-Aufstieg nicht als Katastrophe zu sehen, ist dieser Traum so nah zu greifen wie das letzte Mal 1987. Damals besiegten die Rothosen den Zweitligisten Stuttgarter Kickers im Finale des DFB-Pokals mit 3:1. Es war der letzte Auftritt auf dem Balkon und beendete die bislang erfolgreichste Ära der Vereinsgeschichte - eine Ära, die immer noch das Selbstbild vieler HSV-Anhänger prägt.
Der HSV empfängt heute den SC Freiburg im Halbfinale des DFB-Pokals. Für HSV-Sportvorstand Jonas Boldt und die Fans wird das ausverkaufte Spiel heute ein "besonderes Erlebnis".
Die organisierten Fans waren die ersten, die Anfang dieser Saison neue Töne anschlugen. Nachdem dreimal der Traum vom Wiederaufstieg in die Bundesliga geplatzt war, erklärten sie in einem Manifest den "sportliche(n) Erfolg im Sinne eines Aufstiegs in die Bundesliga" für zweitrangig. Hauptsache, sie sehen eine Mannschaft, "die 90 Minuten und 34 Spiele lang zeigt, dass sie stolz darauf ist, für unseren Hamburger Sport-Verein auf dem Rasen zu stehen".
Entwicklung statt Europa
Das passte zu dem neuen Weg der Verantwortlichen, die den jüngsten Kader der Liga zusammenstellten und ihm Zeit zur Reife geben wollten. Als Vorbild diente ihnen die Entwicklungen bei Klubs wie Union Berlin und dem VfL Bochum. "Für mich ist es am Standort Hamburg der einzige Weg, um auf Sicht erfolgreich zu sein", sagte Sportvorstand Jonas Boldt vor zwei Wochen.
Nach dem verlorenen Derby gegen Werder Bremen im März und den anschließenden Misserfolgen wuchs zwar der Unmut in Umfeld und Medien, blieb für HSV-Verhältnisse aber gemäßigt. Im Moment sieht es so aus, als bekommen Boldt und Trainer Tim Walter, die beide noch einen Vertrag bis 2023 besitzen, eine weitere Saison Reife-Zeit.
Vorausgesetzt, die Mannschaft zeigt den Fans wie gegen Karlsruhe, dass sie unabhängig vom Tabellenplatz jedes Spiel gewinnen will. "Die Jungs verbreiten so eine Energie. Die lassen ihr Leben auf dem Platz", sagte Walter nach dem Sieg gegen Karlsruhe.
Fünf Tore, zwei Handelfmeter und VAR-Entscheidungen: In einem packenden Nordduell gewinnt Werder Bremen beim HSV mit 3:2 und ist wieder Tabellenführer.
Pokalfinale als Motivationsschub
Um die nötige Geduld für diesen Weg weiter aufzubringen, wäre ein emotionaler Höhepunkt - wie der Einzug ins DFB-Pokal-Finale - die beste Motivation. Schon der leidenschaftliche Kampf darum, würde die Identifikation der Anhänger mit ihrer Mannschaft weiterwachsen lassen. Das Spiel war innerhalb weniger Minuten ausverkauft.
Den Widerspruch zwischen Pokal-Euphorie und Liga-Realität brachte Tim Walter so auf den Punkt: "Die Rollen sind klar verteilt. Freiburg ist auf dem Weg in die Champions League und wir kämpfen ein Stück weit um den Aufstieg in die Bundesliga und wollen uns neu erfinden."
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