Missbrauch im Turnen: "Es hat sich nichts geändert"

    Interview

    Missbrauch im Turnen :Kim Bui: "Es hat sich nichts geändert"

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    Erst Stuttgart, jetzt Mannheim: Immer mehr Leistungsturnerinnen erheben schwere Vorwürfe gegenüber dem Deutschen Turnerbund. Ex-Turnerin Kim Bui fordert "spürbare Konsequenzen".

    Kim Bui | ehemalige Leistungsturnerin
    Kim Bui ist ehemalige Leistungsturnerin. Sie setzt sich nun gegen den Machtmissbrauch von Trainern im Turnsport ein. Darüber spricht sie im moma-Interview.04.02.2025 | 4:35 min
    Demütigungen, Straftraining oder Essstörungen: Zahlreiche Leistungsturnerinnen und auch ein Turner haben in den vergangenen Wochen schwere Vorwürfe gegenüber dem Deutschen Turnerbund (DTB) erhoben. Es geht um harsche Trainingsmethoden, "körperlichen und seelischen Missbrauch". Sie betreffen das Training an den Stützpunkten in Stuttgart und Mannheim.
    Der DTB äußerte Betroffenheit und kündigte Aufarbeitung an. Vizepräsidentin Ulla Koch ließ ihr Amt ruhen. Im ZDFheute-Interview verwies DTB-Vorstand Kalle Zinnkann außerdem auf einen seit 2021 laufenden "Kultur- und Strukturprozess". An dessen Konzeptionierung war auch Kim Bui beteiligt. Sie war eine der ersten Athletinnen, die öffentlich über ihre Essstörung und mentalen Druck sprach. 2022 beendete sie ihre Karriere. Von Kulturwandel ist ihrer Meinung nach in den Turnhallen nichts zu spüren.
    ZDFheute: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Ende 2024 Leistungsturnerinnen Missstände am Standort Stuttgart öffentlich gemacht haben?
    Kim Bui: Es war und ist immer noch nach wie vor sehr überwältigend für mich. Ich bin mit meiner eigenen Geschichte vor fast zwei Jahren an die Öffentlichkeit gegangen. Damals habe ich mich einsam gefühlt und sehr viel Kritik einstecken müssen. Umso bestärkender fühlt es sich jetzt an, dass die anderen auch ihre Geschichte erzählen.

    Wir können jetzt etwas tun, dass nachkommende Generationen eben Besseres erfahren.

    Kim Bui

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    Die schweren Vorwürfe gegen den Deutschen Turnerbund häufen sich.04.02.2025 | 1:42 min
    ZDFheute: Sie und andere Athletinnen sagen, es sei ein systemisches Problem. Was macht das "System Leistungsturnen" in Deutschland aus?
    Bui: Leistungsturnen beginnt in Deutschland wie überall in sehr frühem Alter. Ich habe mit vier Jahren begonnen. Man kommt also sehr, sehr früh in eine Abhängigkeit mit den Trainern.
    Das ist ein Problem, weil die Kinder natürlich sehr viel Zeit, vielleicht auch mehr Zeit mit den Trainern verbringen als mit den eigenen Eltern. Damit haben die Trainer eine sehr große Verantwortung. Manche sind dieser vielleicht in vielen Punkten noch nicht gewachsen. Vielleicht, weil ihnen eine gewisse Ausbildung und Weiterbildung dazu fehlt.
    In vielen Köpfen ist noch eine alte Denkweise drin. Aber, was früher gut war und vielleicht zum Erfolg geführt hat, ist heute keine zeitgemäße Methode mehr.

    Ich glaube, die heutige Generation ist nicht mehr bereit dazu, das über sich ergehen zu lassen.

    Kim Bui

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    ZDFheute: Wie wäre denn der perfekte Trainer oder die perfekte Trainerin?
    Bui: Also, wir setzen erst mal voraus, dass ein Trainer vollumfänglich über seine Sportart und über die Techniken und das spezifische Turntraining Bescheid weiß.
    Darüber hinaus ist eine gute Beziehung wichtig. Die Athletin muss einfach immer zum Trainer kommen und offen über Probleme sprechen können. Ohne zu befürchten, dass es irgendwelche Konsequenzen gibt, die sich dann negativ aufs Training oder dann auch auf die Persönlichkeit auswirken.
    ZDFheute: Ist es denn ohne die Methoden, die Sie kritisieren, möglich, an der Weltspitze zu turnen und international mitzuhalten?
    Bui: Ich habe kein Patentrezept. Und ich glaube, wir sollten uns allgemein fragen, wo wollen wir hin, auch als Gesellschaft. Es geht immer nur um Medaillen, die gewonnen worden sind oder nicht. Wir sollten auch anerkennen, wie viel jede und jeder einzelne für den Sport leistet.
    ZDFheute: Seit Ihren Vorwürfen und denen zum Standort Chemnitz hat der Deutsche Turnerbund die Initiative "Leistung mit Respekt" ins Leben gerufen. Sie soll einen Kulturwandel bezwecken. Auch Sie waren als aktive Turnerin in die Konzeptionierung eingebunden. Wie bewerten Sie diese heute?
    Bui: Ich habe damals schon gesagt, es ist zwar schön und gut, dass wir ganz viele Konzepte ausarbeiten und ganz viel auf Papier steht.

    Aber in der Turnhalle ist davon nichts zu spüren.

    Kim Bui

    Der alltägliche Trainingsbetrieb ist in gewisser Weise einfach so weitergelaufen. Es hat sich nichts geändert.

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    DTB-Vorstandsvorsitzender Kalle Zinnkann
    Interview
    ZDFheute: Wie kann ein Kulturwandel in der Halle ankommen?
    Bui: Es muss ein Prozess aufgesetzt werden mit klar messbaren Zielen. Und es braucht eine spürbare Konsequenz, wie personelle Veränderungen.
    Ich wünsche keinem Menschen auf dieser Welt etwas Schlechtes, aber wir sind an einem Punkt angekommen, wo Verantwortliche für ihr Handeln eine Konsequenz tragen müssen. In diesem Fall, den Job zu verlieren, weil man vielleicht an dieser Stelle nicht richtig gearbeitet hat.
    ZDFheute: Es müssen also Trainer und Trainerinnen gehen?
    Bui: Nicht nur Trainer. Es sind auch Funktionäre und Mitarbeitende, die tagein, tagaus dort sitzen von den Trainingsmethoden wissen und sie normalisieren.

    Alle sind Teil dieses Systems, alle empfinden das als normal, was dort passiert. Es wird ganz viel verdrängt, vertuscht und weggeschoben.

    Kim Bui

    Es gibt kein Korrektiv, es gibt keine Konsequenz. Denn wenn alle etwas als normal empfinden, dann ist es natürlich irgendwie normal.
    Die, die sich erheben und was dazu sagen, werden kleingeredet. Und die, die dagegen sind, verlassen irgendwann freiwillig dieses System. Mit ihnen geht Wissen und Erfahrung, wie es anders laufen könnte.

    ... teilte zu den neuen Vorwürfen mit, in den vergangenen Wochen seien weitere Meldungen unterschiedlicher Art eingegangen. Sie beträfen auch andere Stützpunkte, unter anderem den Bundesstützpunkt Turnen Frauen in Mannheim.

    "Der DTB wird sämtliche dieser Meldungen - unabhängig davon, auf welchen Zeitraum sie sich beziehen und ob sie einzelne Personen oder strukturelle Themen betreffen - in die verschiedenen bereits eingeleiteten Prozesse miteinfließen lassen", hieß es. Dies gelte auch für solche Meldungen, die keine aktuellen Vorkommnisse, sondern länger zurückliegende Zeiträume beträfen.

    Quelle: dpa

    ZDFheute: In ihren Augen hat der Turnsport ein grundsätzliches Problem. Können Eltern ihre Kinder noch guten Gewissens zum Turnen schicken?
    Bui: Turnen ist der schönste Sport der Welt. Ich möchte nicht, dass Eltern jetzt Angst davor haben, ihre Kinder zum Turnen zu bringen. Weil dafür sind wir jetzt da. Die, die ihre Geschichten öffentlich gemacht haben und uns dafür einsetzen, das System zu verändern.

    Ich würde mich nicht so reinhängen, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass sich da etwas verändern kann.

    Kim Bui

    Das Interview führte Luisa Houben, Reporterin im ZDF-Studio Baden-Württemberg.

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    Quelle: Reuters

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