Sie gilt als Favoritin auf den WM-Titel im Hochsprung. Doch Jaroslawa Mahutschich liefert mehr als nur eine sportliche Story. Sie ist Ukrainerin - und hat den Krieg hautnah erlebt.
Jaroslawa Oleksijiwna Mahutschich zählt bei der Leichtathletik-WM zu den ganz großen Figuren des Hochsprungs. Die Ukrainerin ist zwar erst 20 Jahre alt und betreibt ihren Sport seit gerade mal sieben Jahren. Dennoch ist ihre Vita bereits voller Siege, Medaillen und Rekorde.
Jaroslawa Mahutschich hat schon WM-Silber und Olympia-Bronze geholt
Unter anderem ist sie durch ihr Silber bei der Weltmeisterschaft 2019 mit ihren damals 18 Jahren die jüngste Gewinnerin einer WM-Hochsprung-Medaille. Und im Vorjahr holte Mahutschich in Tokio Olympia-Bronze.
Doch Jaroslawa Mahutschich schaut nicht zurück. Sie hat keine Zeit und keine Muße. Denn ihre Gegenwart ist zu aufreibend - und ihre Zukunft genauso ungewiss, wie die ihres Landes.
60-stündige Flucht im Auto
Der 24. Februar hat das Leben der jungen, 1,81 Meter großen Frau schlagartig verändert. An jenem Donnerstag überfallen russische Truppen ihr Heimatland Ukraine. Mahutschich lebt mit ihrer Familie in Dnipropetrowsk.
Mit Willenskraft und Stärke hat Jaroslawa Mahutschich bei der Hallen-WM Gold im Hochsprung geholt. Ein Kurzporträt.
Sie entscheidet sich, zu fliehen, verabschiedet sich von ihren Lieben und fährt rund 60 Stunden im Auto knapp 2.000 Kilometer bis nach Belgrad. Obwohl sie kaum Zeit hat, zu trainieren, gewinnt Mahutschich in der serbischen Hauptstadt Mitte März WM-Gold in der Halle. Ihre Siegeshöhe von 2,02 Meter ist Weltjahresbestleistung.
Größte Rivalin aus Russland gesperrt
Ihre größte Rivalin, Marija Lasizkene, fehlt in Belgrad. Die russische Olympiasiegerin und dreimalige Freiluft-Weltmeisterin ist vom Weltverband World Athletics (WA) genauso gesperrt, wie alle anderen Athleten aus Russland und Belarus. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte der WA sowie anderen globalen Sportverbänden diese Sanktionen als Folge der russischen Invasion empfohlen.
Sie habe immer ein "freundliches Verhältnis" zu Lasizkene gehabt, sagt Mahutschich. Das ändert sich jedoch abrupt, als die Russin Anfang Juni einen öffentlichen Brief an IOC-Präsident Thomas Bach schreibt. "Die Sperre gegen russische Athleten wird den Krieg nicht stoppen", betont sie. Die 29-Jährige schreibt zudem, dass "kein Mensch" das durchmachen sollte, was die Ukrainer derzeit erleben. Dennoch stellt sie sich als Opfer dar.
Kein Kontakt mehr zu Lasizkene
Bei Mahutschich meldet sich Lasizkene nicht. Kein Telefonat, kein Schreiben - bis heute: nichts. Mittlerweile wartet Mahutschich nicht mehr auf irgendein Zeichen von ihr. Sie ist nur froh, dass Russen und Belarussen auch in Eugene ausgeschlossen sind - und macht dies unmissverständlich deutlich:
Ihr Tagesablauf ist eine Mischung aus Training, Telefonaten mit der Familie, dem Verfolgen der Entwicklungen in der Ukraine - und einem steten Gefühl der Angst. Obwohl Mahutschich weit weg ist, versucht sie, ihre Heimat zu unterstützen, so gut sie es eben kann. Zum Beispiel finanziell.
Hochsprung-Weltmeisterin Jaroslawa Mahutschich aus der Ukraine schildert im sportstudio ihre Anreise zur WM durch das Kriegsgebiet und erklärt, was ihr der Titel bedeutet.
Ihre Mutter, Schwester und Nichte sind mittlerweile in Deutschland, der Vater und der Opa hingegen in Dnipropetrowsk geblieben. Mahutschich erzählt all das auf einer Pressekonferenz in Eugene. Mit ihr sind weitere internationale Sportler auf dem Podium. Unter anderem 400-Meter-Hürden-Olympiasieger Karsten Warholm.
Es geht um mehr als Titel
Der Norweger hat bislang eine Saison mit vielen Verletzungen hinter sich. Er spricht deshalb von einem "Desaster". Warholm hat das Wort kaum ausgesprochen, da realisiert er, wie winzig sein "Problem" im Vergleich zu dem von Mahutschich ist. Und so ergänzt er mit Blick zu ihr umgehend, dass er gar nicht so recht wisse, was ein wirkliches Desaster sei.
In Eugene geht es Mahutschich um so viel mehr als nur den WM-Titel. Sie weiß natürlich, dass sie die jüngste Hochsprung-Weltmeisterin werden kann. Doch sie weiß vor allem um die Strahlkraft ihrer Goldmedaille. Sie wäre verbunden mit Hoffnung - und mit einer globalen Botschaft: "Ich könnte der Welt zeigen, dass wir Ukrainer kämpfen. Bis zum Schluss. Bis zum Sieg."
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