War die Affäre mit Mesut Özil vielleicht politisches Kalkül, um die Chancen der Türkei bei der EM-Bewerbung 2024 zu erhöhen? Gerüchte gibt es viele, Belege eher weniger.
"United by football. Vereint im Herzen Europas." So lautet der Slogan, mit dem sich Deutschland um die EM 2024 bewirbt. Die farbige Broschüre liegt im Eingangsbereich der Zentrale des DFB aus. Auf dem Deckblatt zerfließen die Nationalfarben Schwarz, Rot, Gold ineinander.
Symbole für Integration
Gleich auf der ersten Seite im Innenteil findet sich die Botschaft, die dieses Fußballfest überwölben soll: "Ein Turnier im Zeichen der Integrationskraft." Auf dem dazugehörigen Foto hält ein blonder Bub mit Brille einen Mitstreiter mit dunkler Hautfarbe im Arm. Beide tragen die Deutschland-Flagge auf den Wangen.
Und damit niemand an solchen Bildern zweifelt, hatte der zum Bewerbungsbotschafter ernannte Philipp Lahm am 9. Dezember vergangenen Jahres in Frankfurt auf dem DFB-Bundestag gesagt: "In unserer Nationalmannschaft spielen Mesut (Özil, Anm. d. Red.) und Jérôme (Boateng) zusammen. Das spiegelt die Vielfalt unserer Gesellschaft wider."
Der schlimmste aller Vorwürfe
Nun aber ist besagter Mesut Özil unter dem schlimmsten Vorwurf zurückgetreten, den dieser Verband hätte treffen können: Dass er einen Migranten wie den in Gelsenkirchen geborenen Kicker türkischer Eltern ausgrenze und an seiner Spitze mit Reinhard Grindel ein Rassist stehe.
Letzterers ist bei näherer Betrachtung an den Haaren herbeigezogen. Da ist sich auch die ehemalige DFB-Integrationsbotschafterin Gül Keskinler bei all ihrer berechtigten Kritik an Grindel sicher.
Chancen der Türkei schlagartig verbessert
Allerdings heißt es mittlerweile vermehrt, es sei kein Zufall, dass genau jener Aspekt torpediert wird, der bei der Anwartschaft auf die Ausrichtung des 24er-Turniers eigentlich ein tragendes Element bilden sollte. Einziger Mitbewerber ist die Türkei, die lange als chancenlos galt und plötzlich die Chancen schlagartig verbessert hat.
Währenddessen wackelt beim DFB neben dem verteuerten und verzögertem Bau der neuen Akademie plötzlich auch das zweite Großprojekt: Das Ziel, nach der WM 1974 und 2006, der EM 1988 und der Frauen-WM 2011 ein fünftes großes Fußball-Turnier auszurichten.
Grindels Schicksal an EM geknüpft
Grindel könnte wohl kaum im Amt bleiben, wenn die EM 2024 wirklich an die Türkei ginge. Abgestimmt wird am 27. September unter 18 Mitglieder aus dem UEFA-Exekutivkomitee - Grindel und sein türkischer Kollege Servet Yardimci haben an dem Tag kein Stimmrecht.
Der DFB-Boss ist in diesem Gremium kein solches Leichtgewicht wie im FIFA-Council, wo ihm FIFA-Boss Gianni Infantino häufig schon zu verstehen gab, dass der deutsche Novize sich mal nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte. Aber als Leitfigur gilt Grindel im UEFA-Gremium auch nicht.
Anti-DFB-Kampagne?
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtete derweil, dass am UEFA-Sitz in Nyon der Versuch der türkischen Bewerber registriert werde, unter den Funktionären eine Antipathie gegen Deutschland zu wecken, indem eine indirekte Rassismus-Kritik verbreitet werde. Dahinter stecke die in London ansässige Lobbyagentur Vero Communications.
Noch detaillierter ging die "Rhein-Neckar-Zeitung" auf deren Steuermann Mike Lee ein, einen der einflussreichsten Lobbyisten der Sportbranche, der fast immer dasselbe Konzept verfolge: "Den Gegner schwächen. Deutschland schwächen, so die Devise von Mike Lee. Den Spieß einfach umdrehen. Mit Mesut Özil ist ein verletzter und zugleich völlig naiver Darsteller gefunden - kein Opfer", schrieb das Blatt. Özil sei demnach auch ein Spielball eines auf höchster Ebene eingefädelten Zerwürfnisses, das aus Sicht von Staatschef Recep Tayyip Erdogan genau nach Plan ablaufe.
Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zitierte einen ranghohen DFB-Vertreter, dass Grindel als das Zugpferd der Bewerbung womöglich so beschädigt oder zum Rücktritt gedrängt werden wollte, um die Bewerbung in eine Krise zu stürzen. Dann hätten auch reflexartig reagierende Politiker, die rasch die Rassismus-Vorwürfe Özils aufgriffen, dem autokratischen Herrscher einen Dienst erwiesen.
DFB darf sich keinen Fehler mehr erlauben
Mittlerweile glaubt auch Eintracht Frankfurts Sportvorstand Fredi Bobic, der selbst einen Migrationshintergrund hat, dass Özil "im Endeffekt nur benutzt wurde, um zu spalten - vor allem hier in Deutschland".
Dass Özil seine auf Englisch abgefasste Generalschelte ohne das kleinste eigene Schuldeingeständnis kaum selbst verfasst haben dürfte, dürfte feststehen. Als Drahtzieher gilt der in London lebende Özil-Berater Erkut Sögüt, dem ein zwiespältiges Verhältnis zu seinem Geburtsland Deutschland und eine gewisse Nähe zu Erdogan nachgesagt werden.
Deutschlands Vorteile
Der DFB darf keine Fehler mehr machen. Vielleicht ist es ratsam, sich im 868 Seiten starken Bewerbungsbuch, dem so genannten Bid Book, zu vergewissern, dass Deutschland gegenüber der Türkei noch andere Vorzüge als EM-Gastgeberland hätte.
Etwa bei den Stadien, bei der Infrastruktur. Von der Einhaltung der Grundrechte ganz zu schweigen. Aber allein mit der Integrationskraft zu prahlen - noch betont durch die Anwesenheit der Integrationsbotschafterin Celia Sasic am 24. April bei Übergabe der Unterlagen - , könnte mittlerweile kontraproduktiv zu sein.