Annika Schleu ging im Modernen Fünfkampf leer aus, weil ihr Pferd im Springreiten verweigerte. Für ihren Umgang mit dem Pferd erntet sie anschließend Kritik.
Drama auf dem Rücken von Saint Boy: Fünfkämpferin Annika Schleu (Berlin) muss ihren Traum von einer Medaille bei den Olympischen Spielen nach einem völlig missglückten Reiten begraben.
Die auf Goldkurs liegende Olympia-Vierte von Rio blieb am Freitag ohne Punkte und fiel vor dem abschließendem Laser-Run mit 551 Zählern vom ersten auf den 31. Platz zurück. Es siegte die Britin Kate French. Schleu und Peking-Olympiasiegerin Lena Schöneborn auf der Tribüne brachen in Tränen aus.
Kritik von Reitsport-Fachverband
Unterdessen hat sich die Deutsche Reiterliche Vereinigung und auch der Deutsche Olympische Sportbund mit deutlicher Kritik an der Sportart - und auch an Schleu geäußert.
Weiter hieß es: "Als Fachverband für den Pferdesport sehen wir die Reiterei im Modernen Fünfkampf kritisch. Unser Verständnis der Reiterei liegt in der Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd und nicht darin, das Pferd als Sportgerät zu betrachten."
Schläge mit Reitgerte
Für Aufsehen hatten zuvor die Bilder aus Tokio gesorgt. Schleu schlug aus purer Verzweiflung immer wieder mit der Gerte auf das ihr zugeloste Pferd Saint Boy, das nicht in den Parcours wollte.
Bundestrainerin Kim Raisner rief im Fernsehen deutlich hörbar der 31-Jährigen zu: "Hau mal richtig drauf! Hau drauf!"
Regelwerk auf den Prüfstand?
Aus Sicht des Pferdesport-Verbandes "muss das Regelwerk dieser Sportart so gestaltet sein und angewendet werden, dass Reiter und Pferd geschützt werden. Hier besteht beim Modernen Fünfkampf offensichtlich dringender Handlungsbedarf." Für das Regelwerk sei der Weltverband für Modernen Fünfkampf zuständig, nicht die Reitsport-Fachverbände FN und FEI, betonte Peiler.
Ähnlich wie der Pferdesport-Verband äußerte sich auch der Deutsche Olympische Sportbund. "Zahlreiche erkennbare Überforderungen von Pferd-Reiter-Kombinationen sollten für den internationalen Verband dringend Anlass dafür sein, das Regelwerk zu ändern", schrieb der DOSB in einer Stellungnahme am Freitag.
Saint Boy verweigert: Gold weg für Schleu
Auch die zweite deutsche Starterin Rebecca Langrehr (Berlin/717) war auf dem 29. Rang ohne Medaillenchance. Sportsoldatin Schleu hatte das Reiten mit 24 Punkten Vorsprung auf die ROC-Athletin Juliana Bataschowa in Angriff genommen.
Auf dem Rücken von Saint Boy, auf dem Bataschowas Landsfrau Gulnas Gubaidullina vor Schleu bereits ohne Punkte geblieben war, lief dann aber nichts mehr. Nur mit Mühe brachte Schleu das ihr zugeloste Pferd überhaupt auf den Parcours. Dort verweigerte Saint Boy mehrfach. "Weiter, weiter", rief Bundestrainerin Kim Raisner. Annika Schleu war später völlig aufgelöst und ratlos.
Schleus Augen waren noch lange nach dem abschließenden Laser-Run gerötet und feucht. Auch die vielen tröstenden Umarmungen der Rivalinnen halfen kaum - schließlich hatten Schleu auch wütende Kommentare aus der Heimat erreicht. "Es ist tragisch", sagte die grenzenlos enttäuschte Schleu: "Ich werde wohl eine Weile brauchen, um darüber hinwegzukommen."
"Man hätte Annika keine Medaille mehr nehmen können"
"Es kann keiner besser nachempfinden als ich. Es ist Eins-zu-Eins die Situation, die ich in Rio hatte", sagte Schöneborn, die 2016 in Brasilien ihre Medaillenchance auf dem Rücken von "Legende" verloren hatte, in der ARD: "Es ist der Worst Case, der jetzt eingetreten ist. Mit allen anderen Punktzahlen hätte sonst was passieren können, hätte man Annika keine Medaille mehr nehmen können. Das ist sehr erschütternd."
Die Teildisziplin Reiten steht beim Modernen Fünfkampf schon länger in der Kritik, weil die Pferde den Reitern zugelost werden und beide nur 20 Minuten haben, sich aufeinander abzustimmen. Laut den Regeln darf jedoch nur auf ein Ersatzpferd umgestiegen werden, wenn das Pferd von einem Tierarzt als untauglich eingestuft wird, im Probedurchgang viermal verweigert oder die Reiterin zweimal abwirft. Bundestrainerin Kim Raisner erklärte im Anschluss, Saint Boy habe in der Probe dreimal verweigert. Der Tierarzt sah darin offenbar kein Problem.
"Aber sie hat das Pferd nicht gequält, in keinster Weise"
Raisner setzte sich auch gegen den Vorwurf der Tierquälerei zur Wehr. "Ich hab gesagt, hau drauf. Aber sie hat das Pferd nicht gequält, in keinster Weise", sagte Raisner. Es sei jetzt "keine Quälerei", betonte Raisner, "dass man mal mit der Gerte hinten draufhaut. Sie hat dem Pferd nicht im Maul gerissen. Sie hatte keine scharfen Sporen dran. Pferde quälen sieht anders aus."
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