Der ein oder andere Sportler ist zwiegespalten, insgesamt reagiert das deutsche Paralympics-Team aber erleichtert auf den Ausschluss von Russland und Belarus.
Am Tag zuvor war das Entsetzen groß gewesen. Der russische Jubel im paralympischen Dorf in Zhangjiakou, dort, wo die nordischen Ski-Wettbewerbe stattfinden werden, sei kaum zu ertragen gewesen, berichtet Karl Quade, der deutsche Chef de Mission. "Ich habe nur darauf gewartet, dass Feuerwerk gezündet wird."
Scharfe Kritik an Nicht-Ausschluss-Entscheidung
Wurde es nicht. Stattdessen hätten die russischen Athleten sehr schnell die Fahnen an ihren Unterkünften abgehängt und den Schriftzug "Russia" auf ihrer Ausrüstung entfernt. Das waren die Auflagen des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), das am Mittwoch verkündet hatte, russische und belarussische Sportler trotz des russischen und belarussischen Angriffs auf die Ukraine an den Paralympics teilnehmen zu lassen - als neutrale Athleten, ohne Hymnen, Landesflaggen oder Landesnamen.
Für diese Entscheidung wurde das Governing Board des IPC von allen Seiten harsch kritisiert. Er wisse von keinem in Peking anwesenden Nationalen Paralympischen Komitee, abgesehen von dem russischen und dem belarussischen, das Verständnis gezeigt habe für den Beschluss, sagt Quade. Viele hätten dem IPC ihren Unmut schriftlich mitgeteilt, der Deutsche Behindertensportbund (DBS) habe das in einer gemeinsam mit den Österreichern verfassten Protestnote getan.
Überraschende Kehrtwende des IPC
Das Resultat überraschte dann auch die beiden obersten deutschen Paralympics-Funktionäre, Karl Quade und DBS-Präsident Friedhelm Julius Beucher. Am Donnerstag traf sich das Governing Board des IPC erneut und beschloss nun doch ein Teilnahmeverbot für die russische und die belarussische Mannschaft.
Es habe viele Boykottdrohungen aus anderen Teams gegeben, hieß es in einer Mitteilung. Zudem drohe die Lage in den olympischen Dörfern zu eskalieren, es werde schwierig, für Sicherheit zu sorgen. Der brasilianische IPC-Präsident Andrew Parsons sagte: "Wir beim IPC sind fest davon überzeugt, dass Sport und Politik nicht vermischt werden sollten. Doch ohne eigenes Verschulden ist der Krieg nun zu diesen Spielen gekommen, und hinter den Kulissen nehmen viele Regierungen Einfluss auf unser geschätztes Ereignis."
DBS-Chef Friedhelm-Julius Beucher begrüßt die veränderte Entscheidung des IPC, russische und belarussische Athleten von den Spielen in Peking auszuschließen.
DBS-Präsident Beucher hält die Trennung von Sport und Politik in der aktuellen Situation nicht für möglich, zeigte sich vom Meinungsunschwung des IPC aber dennoch überrascht. "Da gehört ja auch Rückgrat dazu", sagte Beucher. Karl Quade sprach von "großem Respekt für diese Entscheidung", die er zugleich als "die einzig richtige Entscheidung" bezeichnete, "um die Spiele gesichtswahrend durchzuführen".
Forster: Stimmung komisch, aber nicht aggressiv
Die vom IPC benannte "Eskalation" in den olympischen Dörfern konnte das deutsche Team zumindest für die zwei Standorte in den Bergen nicht bestätigen. Die Stimmung sei "komisch", sagte Quade, aber keinesfalls aggressiv.
Anna-Lena Forster, Monoskifahrerin und große deutsche Medaillenhoffnung berichtete: "Wir haben hier russische Athleten gesehen, die laufen aber eher mit dem Blick nach unten herum, das ist für die sicher auch keine schöne Situation."
Der deutsche Para-Snowboarder Matthias Keller findet den Ausschluss russicher und belarussischer Athleten in Peking richtig. Er fühle aber auch mit den Sportlern mit.
Der Biathlet und Langläufer Martin Fleig sprach von einem Zwiespalt, in dem er sich als Athlet befinde: "Aus politischer Sicht konnte es keine andere Entscheidung geben als die heute gefällte", sagte er. "Aber die russischen und belarussischen Athleten haben hier ihr Zeug ausgepackt und sich alles angeschaut, und jetzt müssen sie wieder abreisen, man muss das von zwei Seiten betrachten."
IPC hatte zunächst rechtliche Bedenken gegen Ausschluss
Die erste Entscheidung des IPC war wohl in erster Linie auf Grund rechtlicher Bedenken gefallen. Das paralympische Regelwerk sieht keinen Ausschluss von Athleten aus Ländern vor, deren Regierungen gerade einen Angriffskrieg führen. Nun hat sich das IPC dem immensen Druck gebeugt.
Das Russische Paralympische Komitee (RPC) teilte umgehend mit, juristische Mittel prüfen zu wollen - bis hin zum Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS). Sollte es so weit kommen: "Dann hoffe ich, dass das CAS auch mal andere als die rein formalen Dinge berücksichtigt", sagt Quade.
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