Deutlicher als erwartet verteidigte Magnus Carlsen seinen Titel im Schach gegen Ian Nepomnjaschtschi. Den Wendepunkt brachte die längste WM-Partie der Schachgeschichte.
Klar, passionierte Schachspieler kennen die Namen Wladimir Kramnik und Viswanathan Anand, die letzten Schachweltmeister, bevor Magnus Carlsen diesen Titel seit 2013 nun fünf Mal hintereinander gewinnen konnten. Und dessen Namen kannten sie auch schon, bevor er seinen Herausforderer Ian Nepomnjaschtschi in Dubai deutlich bezwang. Und dennoch dürfte Carlsen erst seit dieser WM der bekannteste Schachspieler seit Bobby Fischer sein. Denn dieser Titelkampf nimmt eine Sonderstellung in der Geschichte großer Schachevents ein.
Fischer vs. Spasski: Kampf der Systeme
Das Duell des US-Amerikaners Fischer gegen Boris Spasski in Reykjavík 1972 wurde als Kampf der der politischen Systeme wahrgenommen - hier der exzentrische Individualist, dort der linientreue Sowjet-Bürger.
"Ich war noch ein kleiner Junge, aber ich sah: Fischer öffnete dem Schach neue Türen, ich habe sein Spiel sehr bewundert", sagte der ehemalige Schach-Weltmeister Garri Kasparow.
Dass diese Tür sich für die Nicht-Experten irgendwann wieder verschloss, hing mit dem zweiten Mega-Event der jüngeren Schachgeschichte zusammen, an dem Kasparov dann selbst beteiligt war. 1996 unterlag er in einem Wettkampf unter Turnierbedingen dem Computer Deep Blue - der Kampf Mensch gegen Maschine schien entschieden und der Schachsport verschwand wieder in der Nische.
Schachboom nach Damengambit
Versuche der Verbände und Unternehmen, das Spiel da rauszuholen, gab es viele. Neben Simultan- und Blitzschachturnieren wurden weitere Formate kreiert, um den menschlichen Faktor zu retten, wie das nach seinem Erfinder bezeichnete "Fischerschach", in dem vor jeder Partie eine von 960 möglichen unterschiedlichen Ausgangsstellungen ausgelost wird.
Bis das Fach-Portal chess.com allein im November 2,5 Millionen Neuanmeldungen verzeichnen konnte und das virtuelle Schach eine neue Boom-Zeit erlebte, mussten zwei andere Faktoren dazukommen: Corona und der Erfolg der Streaming-Serie "Damengambit".
Schnellschach auf dem Vormarsch
Die fiktive Protagonisten Elizabeth Harmon hat dem Schach wieder eine Tür zu einem Massenpublikum geöffnet. Vor dem von chess.com live gestreamten WM-Kampf stand die Frage im Raum, ob dessen Format dem neu erwachten Interesse gerecht werden könnte. Obwohl der Weltverband Fide die WM-Endrunde, die früher bei 24 Partien gerne mal einen Monat oder länger dauern konnte, längst verkürzt hat, steht sie noch für die alte Schachwelt mit langen Zugfolgen und einer Vielzahl von Remis-Partien.
Online sind dagegen die oft launig kommentierten Blitz- oder Schnellschach-Varianten die beliebtesten, die den Spielern 15 Minuten pro Partie oder 1 Minute Bedenkzeit pro Zug geben. Bis zur sechsten Partie schienen die Pessimisten recht zu behalten, die für diese WM zweier ähnlich stark eingeschätzter Spieler den "Remis-Tod" befürchteten. Aber dann wurde ausgerechnet die mit 136 Zügen längste WM-Partie der Schachgeschichte zum Wendepunkt.
Psychologie rückt in den Vordergrund
Nach Meinung vieler Experten wurde mit Carlsens Sieg in dieser Partie der psychologische Grundstein für "Nepos" Niederlage gelegt, da ihm im weiteren Turnierverlauf gravierende Fehler unterliefen. "Der Großmeister der Selbstvernichtung" titelte "Zeit Online" nach der Entscheidung und der Weltranglistensiebte Anish Giri kommentierte den vorentscheidenden 23. Zug in der elften und letzten Partie live auf Chessbase24: "Er möchte dieses Spiel verlieren. Er möchte morgen nicht mehr spielen. Er möchte unterbewusst lieber verlieren als ein Remis."
Die Körperhaltung der Kontrahenten war plötzlich genauso interessant die von Carlsen gewählte Fortführung. Der menschliche Faktor war zurück im Spiel.
- Titel Nummer 5: Carlsen bleibt Schach-König
Nach der elften Partie ist es klar: Magnus Carlsen bleibt Schach-Weltmeister. Der Norweger hat gegen Herausforderer Jan Nepomnjaschtschi den vierten Sieg errungen.