Wegen des Kriegs in seiner Heimat trainiert der Ukrainer Michailo Romantschuk seit knapp vier Monaten in Magdeburg. Dorthin eingeladen hat ihn einer seiner härtesten Konkurrenten.
Bernd Berkhahn hat mit seinen Magdeburger Schwimmern bei der WM in Budapest bereits einige Erfolge gefeiert, der große Schlusstusch steht dem 51-Jährigen aber noch bevor - mit dem Finale über 1.500 Meter Freistil am frühen Samstagabend.
Die Qualifikation dafür schafften am Freitag sowohl Florian Wellbrock als auch Lukas Märtens sowie ihr ukrainischer Trainingspartner Michailo Romantschuk.
Trotzdem erfreut sich der akribische Coach, der neben dem Job in Magdeburg seit Anfang 2019 auch als Bundestrainer fungiert, schon am Gedanken an den letzten Finalabend bei den Beckenschwimmern.
Sarah Wellbrock über das WM-Silber ihres Mannes Florian und ihren gemeinsamen ukrainischen Trainingspartner Michailo Romantschuk, der WM-Bronze gewann.
"Ich werde mich genüsslich hinsetzen und mir das anschauen", frohlockt Berkhahn – dem vorher auch wieder der ungewöhnliche Trainingsalltag in der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts durch den Kopf gehen dürfte.
"Sport ist die größte Politik"
Auf Initiative von Freiwasser-Olympiasieger Wellbrock stieß der im nordwestukrainischen Riwne geborene Romantschuk Anfang März, kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs, zu der Magdeburger Gruppe. Weil in seiner Heimat auch die letzte Schwimmhalle mit einem 50-Meter-Becken, in dem er sich auf die WM hätte vorbereiten können, zerbombt worden war.
"Ich weiß, dass mehr als zehn Sportler während des Krieges gestorben sind. Wenn Leute sagen, Sport ist nicht Politik, ist das nicht richtig. Sport ist die größte Politik", betonte Romantschuk in Budapest. Und als er nach seinem dritten Platz über 800 Meter Freistil neben Weltmeister Robert "Bobby" Finke (USA) und Wellbrock auf dem Siegerpodest stand, schloss er die Augen und weinte.
Auch Märtens profitiert vom hohen Trainingsniveau
Bernd Berkhahn verfolgte diese Szene und meinte später: "Florian wäre in dem Moment am liebsten rübergerannt, um ihn zu umarmen." Wellbrock (24) selbst spricht von einem "freundschaftlichen Verhältnis" zu dem ein Jahr älteren Romantschuk. Das sei auch die Basis dafür gewesen, dass er ihm das Angebot, nach Magdeburg zu kommen, überhaupt gemacht habe.
Vom hohen Niveau in Berkhahns prominent besetzter Trainingsgruppe profitieren nun beide Konkurrenten. Ebenso wie der 20-jährige Märtens, der zum WM-Auftakt prompt Silber über 400 Meter Freistil gewann – im Gegensatz zu Wellbrock und Romantschuk bei den Wettkämpfen im Freiwasser in der nächsten Woche jedoch nicht antritt.
Hilfe im Supermarkt und beim Friseur
"Ich denke, dass wir sehr gut miteinander klarkommen – aber auch sehr gute Trainingspartner sind", beschreibt Märtens gegenüber ZDFheute sein Verhältnis zu Romantschuk. Über den Krieg und die Situation habe er sich mit ihm aber nicht unterhalten. "Wir lassen ihn da in Ruhe und versuchen, ihn so gut wie möglich abzulenken", erklärt Märtens.
Dabei hilft Florian Wellbrock dem Ukrainer schon mal beim Einkauf, nimmt ihn mit zum Friseur oder geht mit ihm abends essen oder spazieren. Entsprechend dankbar ist Romantschuk für die Unterstützung durch die Magdeburger Gruppe und sagt: "Ohne sie wäre ich nicht hier."
Bronzemedaille dem Vater gewidmet
Vor Ort ist in Budapest auch sein Trainer: Petro Nahornyi bekam von der ukrainischen Regierung eine Ausreiseerlaubnis bis zum Ende der WM. Danach muss er wieder an die Front.
Dort geblieben ist der Vater des zweifachen Medaillengewinners der Tokio-Spiele. "Er verteidigt mein Land, mein Zuhause. Einmal am Tag schreibt er mir, ob alles gut ist", berichtet Michailo Romantschuk. Die Budapester Bronzeplakette über 800 Meter Freistil hat er neben "allen Ukrainern" speziell seinem Vater gewidmet.
Der ukrainische Top-Schwimmer Romanchuk trainiert mit Florian Wellbrock in Magdeburg.