Kim Bui zum Turnskandal:Von alten Glaubenssätzen und einem Neuanfang
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Nur mit Härte zum Erfolg? Im aktuellen sportstudio sprechen Ex-Turnerin Kim Bui und Sportpsychologin Jeannine Ohlert über Missstände im Turnen. Und wie es besser gehen kann.
"Nur unter Druck entstehen Diamanten". Ein Glaubenssatz, der aus jungen Athletinnen Medaillengewinnerinnen machte. Und Narben hinterließ.
"Das ist nicht mehr passend", sagt Ex-Turnerin Kim Bui im aktuellen sportstudio. Sie ist eine von vielen Leistungsturnerinnen, die von Essstörungen, Demütigungen und Drohungen im Training berichten.
Ihre eigene Geschichte machte sie 2022 öffentlich. Seit Ende 2024 melden sich weitere Betroffene zu Wort. Der Vorwurf: Sie hätten an den Stützpunkten in Stuttgart und Mannheim "körperlichen und seelischen Missbrauch" erlebt.
Ich finde es stark, dass so viele Turnerinnen und Turner den Mut gefunden haben, sich zu öffnen und ihre Geschichte zu erzählen.
Kim Bui, Ex-Turnerin
Sportpsychologin: Kontraproduktive Trainingsmethoden
Seit Anfang des Jahres macht der Turnskandal Schlagzeilen. Und es stellt sich die Frage: Wann ist Training zu harsch? Wann psychischer Missbrauch?
Wenn es keine Kritik zur Sache ist, sondern gegen den Menschen, erklärt Sportpsychologin Jeannine Ohlert im aktuellen sportstudio.
Wenn ich die Person klein mache, sie beschäme, lächerlich mache, dann ist es psychische Gewalt.
Jeannine Ohlert, Sporthochschule Köln
Diese Methoden seien kontraproduktiv.
Mehr Spaß statt Demütigungen
Kim Bui hat sie erlebt. Sie litt als aktive Turnerin unter einer Essstörung. Das häufige Wiegen im Training habe diese befeuert. Sich gegen Demütigungen zu wehren, sei nicht leicht gewesen.
Zu groß die Angst vor Nachteilen, davor, von Wettkämpfen ausgeschlossen zu werden oder als "Nestbeschmutzer" zu gelten. Dazu käme das Abhängigkeitsverhältnis zu Trainerinnen und Trainern in sehr jungen Jahren.
Wer es zu Weltmeisterschaften oder gar Olympia schaffen will, fängt häufig schon als Kind an, hart zu trainieren.
Auch Eltern seien oft in einer schwierigen Position, findet Bui. Eltern würden Trainern, Vereinen und Verbänden vertrauen. Ihr eigener Vater habe damals "keinen Sand ins Getriebe" streuen wollen.Turnen war ihr großer Traum. Ihre Leidenschaft.
"Leistungssportler sind bereit, viel zu geben, sich dafür aufzuopfern," sagt Bui. Ihre intrinsische Motivation dürfe nicht ausgenutzt werden, um über ihre psychischen Grenzen zu gehen.
Stattdessen käme es darauf an, Sportlerinnen und Sportler dazu zu erziehen, mündig zu sein und selbst Verantwortung zu übernehmen, erklärt Sportpsychologin Ohlert: "Das führt dazu, dass sie längerfristig im Sport bleiben, motivierter sind und bessere Leistungen bringen." Entscheidend sei auch, dass das Training Spaß mache.
Im Fokus der Vorwürfe: Trainerinnen und Trainer
In Stuttgart ermittelt mittlerweile das Landeskriminalamt gegen einen ehemaligen Turntrainer. Auf konkrete Vorwürfe gegen Trainerin Claudia Schunk reagierte diese gegenüber dem SWR mit einem Statement: "...dass es nie meine Absicht war, die Turnerinnen zu belasten und dass, sollten meine Verhaltensweisen gleichwohl so wahrgenommen worden sein, mir dies leidtut."
Ich finde, das so eine Aussage, das, was passiert ist, nicht entschuldigt.
Kim Bui, ehemalige Olympiateilnehmerin
"Nur mit Härte zu Erfolg und Leistung". Noch so ein Glaubenssatz, mit dem auch Trainerinnen und Trainer aufgewachsen sind. Auch auf ihnen lastet der Druck des Leistungssports. Es geht um Medaillen, Förderungen und Status.
Dass Erfolg auch anders möglich ist, müsse erstmal in den Köpfen ankommen, sagt Sportspychologin Ohlert. Dafür brauche es Schulungen.
Man kann das lernen, man kann umdenken.
Jeannine Ohlert, Sporthochschule Köln
Wichtig für Veränderungen sei außerdem, eine unabhängige Meldestelle, der Betroffene vertrauen können und die ein Mandat habe, einzugreifen.
Hoffnung auf einen Kulturwandel
Kim Bui wünscht sich vor allem eine Trainer-Athleten-Beziehung auf Augenhöhe. Vom Deutschen Turner-Bund (DTB) fordert sie klare Ziele, gute Kommunikation und eine aufrichtige Aufarbeitung. In der Hoffnung, dass alte Glaubenssätze für allemal Geschichte sind.
Einen Anfang soll der Einsatz von Aimee Boorman machen. Sie trainierte schon Ausnahme-Erfolgs-Turnerin Simone Biles. Der DTB konnte Boorman für sich gewinnen. Sie übernimmt nun das Training in Stuttgart. Und soll mal gesagt haben: "Es ist nur Turnen!"
Quelle: Reuters
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