Das Playoff gegen Wales hat ukrainische Fans in Atem gehalten - in Gedanken immer auch bei den Soldaten an der Front. Wie Fans in Kiew, Lwiw und Dnipro das WM-Aus erlebten.
Die Aufregung ist die gleiche wie vor jedem Spiel. Vor dem Anpfiff schlägt das Fanherz höher und lässt für einen kurzen Moment den Krieg vergessen. 90 Minuten, in denen Millionen ukrainischer Fans ihre Mannschaft anfeuern, sich über die Schiri-Entscheidungen aufregen und an einem Bier nippen.
Kiew: Jurij Khilkov, der Dynamo-Ultra
"90 Minuten lang war mir alles egal, was gerade im Land passiert. Ich hatte mich schon nach dem Krieg in Kiew im Stadion gesehen beim Spiel der Ukraine", sagt Jurij Khilkov aus Kiew.
Der 18-Jährige ist seit 2013 ein Fan von Dynamo Kiew. Vor dem Krieg ging er regelmäßig ins Stadion, war Gast auf der Ultra-Fantribüne. Das Playoff gegen Wales schaut Khilkov allein in seinem Zimmer auf dem Smartphone.
Die Stadien sind zerbombt oder geschlossen. Public Viewing und Fanzones, wie es sie vor dem Krieg gab, gibt es in der Ukraine nicht mehr. In einigen Kneipen treffen sich Fans, doch nach Feiern ist ihnen nicht zumute. Viele schauen daher lieber alleine, im Kreise der Familie oder mit Freunden.
Lwiw: Oleksander Pauk, der verhinderte Journalist
Der Fußball-Verband der Ukraine (UAF) hat für das Playoff gegen Wales virtuelle Tickets verkauft, knapp 4.000 Stück. Ihr Erlös werde dem ukrainischen Militär gespendet, erzählt Oleksander Pauk, ein Sportjournalist aus Lwiw.
Pauk wäre jetzt als akkreditierter Journalist auf der Tribüne und würde für zahlreiche Zeitschriften berichten. Stattdessen schaut er das Spiel mit seinen Nachbarn. "Auf einem Farbfernseher", freut er sich. Alkohol gibt es nicht, aber die Stimmung ist gut. Auch wenn die 90 Minuten viel zu schnell vergehen.
Immer wieder springt die Gastgeberin auf, weil es einfach nicht klappen will mit den Toren für die ukrainische Mannschaft. "So nahe, so nahe", ruft sie ständig, erzählt Pauk. Am Ende reicht es nicht, die Waliser gewinnen 1:0 und fahren zur WM 2022 nach Katar.
Trotzdem ist Pauk zufrieden mit der Leistung seiner Mannschaft. "Unser Torwart, Georgiy Bushchan, war der beste Spieler, er hat klasse gehalten", lobt er. In den 90 Minuten kann er aber nie ganz abschalten:
Pauks Sohn kämpft gerade an der Grenze zu Belarus. Der Journalist ist froh, dass die Sirenen zumindest während des Spiels still waren. Dass die Mannschaft am Ende verloren hat, sei halb so schlimm, sagt Pauk: "Wichtig ist, dass auf dem Fußballfeld niemand stirbt, wie auf dem Schlachtfeld."
- Wales schlägt Ukraine und fährt zur WM 2022
Die Nationalmannschaft von Wales hat den Sprung zur Fußball-WM 2022 geschafft. Das Team um Gareth Bale gewann das entscheidende Playoff-Spiel gegen die Ukraine mit 1:0.
Dnipro: Die wiedervereinte Familie Grynko
Derweil sind in Dnipro, im Osten der Ukraine, kurz vor Anpfiff die Sirenen zu hören, die vor Luftangriffen warnen. Volodymyr Grynko erschreckt das nicht mehr. Er hat sich daran gewöhnt. In den Schutzkeller läuft heute kaum noch jemand.
Grynko hat heute Grund zur Freude. Seine Frau Elisabeth und seine Kinder sind nach über drei Monaten Trennung zu Besuch. Sie schauen das Spiel zusammen. Grynko gönnt sich zu diesem Anlass deutsches Weißbier.
"Wir versuchen, für 90 Minuten einen Hauch von Normalität zu schaffen. Danach kehren wir wieder zurück in die Realität", sagt Volodymyr Grynko. Dann organisiert er wieder für eine Hilfsorganisation, die mit der Unicef kooperiert, Hilfslieferungen fürs ganze Land.
Nachbesprechung nach der Niederlage
Sportjournalist Pauk weiß, dass viele ausländische Spieler nicht einverstanden waren mit der Trainerwahl. "Oleksandr Petrakov genießt in der Ukraine kein gutes Ansehen." Trotzdem hat das Spiel Millionen von Menschen vor den Bildschirmen zusammengebracht.
Khilkov dagegen ist der Fan-Schmerz ins Gesicht geschrieben. Er trifft sich nach dem Spiel mit Freunden zur Nachbesprechung. Für ihn ist klar: Sobald der Krieg vorbei ist, ist er zurück im Stadion: "Es ist einfach langweilig ohne Fußball."