Vladimir Petkovic hat es auf seine Art geschafft, die Schweiz als Team unterschiedlicher Kulturen ins EM-Viertelfinale zu führen. Dort ist Spanien der Gegner (Freitag 18 Uhr/ZDF).
Es war ein umfassendes Angebot, das bei der digitalen Pressekonferenz mit Vladimir Petkovic am Donnerstag aus St. Petersburg ans internationale Auditorium erging. Übersetzungen in sechs Sprachen - Englisch, Russisch, Deutsch, Spanisch, Französisch und Italienisch - wurden angeboten, doch als der Dolmetscher auch für den Nationaltrainer der Schweiz zu hören war, bewegte dieser gleich mehrfach den erhobenen Zeigefinger. Als Zeichen: Er bräuchte diese Hilfe gar nicht.
Petkovic - vielsprachiger Nationaltrainer
Zeitweise wechselte Petkovic weltmännisch zwischen Deutsch, Französisch oder Italienisch hin oder her. Ein guter Vorgeschmack, mit dem sein von multikulturellen Einflüssen geprägtes Nationalteam das EM-Viertelfinale gegen Spanien (Freitag 18 Uhr/ZDF) angehen will.
Der 57-Jährige erfährt dieser Tage eine verspätete Wertschätzung, weil er Historisches vollbracht hat: Abgesehen von der WM 1954 im eigenen Land sind die Eidgenossen bei einer EM oder WM noch nie so weit gekommen. In den Achtelfinals der EM 2016 gegen Polen (4:5 im Elfmeterschießen) und der WM 2018 gegen Schweden (0:1) blieb das dumpfe Gefühl haften, dass seine Gemeinschaft mehr hätte erreichen können.
Schweizer Rekordnationaltrainer
Dass sich Petkovic stets im Amt halten konnte, ist zweierlei zu verdanken. Keiner war mit seinem Punkteschnitt (1,82) besser als der Mann, der mit seinem 78. Länderspiel zum alleinigen Rekordhalter als Nationalcoach aufsteigt. Und dann ist da noch sein guter Draht zur Mannschaft.
Wenn einer eine Gruppe Fußballer mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund am besten vereint, dann diese meist bestens gekleidete Identifikationsfigur, die ja selbst Migrationshintergrund besitzt.
Studierter Rechtswissenschaftler
Petkovic wurde in Sarajevo im damaligen Jugoslawien geboren, kam mit 24 Jahren in die Schweiz. Zunächst studierte er Rechtswissenschaften, verdiente seinen Lebensunterhalt zeitweise bei der Caritas Tessin, wo er als Sozialarbeiter auch Alkohol- und Drogenabhängige betreute.
Zwangsläufig war er umgeben von komplizierten Typen. Diese Erfahrungen helfen womöglich noch heute. Nun ist es nicht so, dass es sich bei seinen Spielern ausnahmslos um rotzfreche Bengel handelt, aber eine gewisse Erfahrung im Umgang mit dem einen oder anderen Grenzgänger kann jetzt sicher nicht schaden.
Sogar Vorgänger Hitzfeld lobt ihn jetzt
Wobei es die Kollegen um den jetzt gesperrten Kapitän Granit Xhaka sehr schätzen sollen, dass der Fußballlehrer seine Belehrungen hinter verschlossenen Türen anbringt – und dafür nicht die Medien benutzt, deren Kritik er meist abperlen lässt wie ein Seemann den Starkregen von seiner Öljacke.
Ansonsten hätte der Mann dieses Turnier nur schwer durchgestanden. Petkovic hat so manchen medialen Sturm der Entrüstung um fehlende Identität mit der "Nati" vorbeiziehen lassen - und seinen Job prima gemacht. Der 2014 installierte Coach wurde sogar von seinem Vorgänger Ottmar Hitzfeld mit Lob überschüttet. Petkovic habe die Mannschaft gegen Frankreich "perfekt eingestellt und überragend gecoacht".
- Matteo Pessina, der 27. Mann
Eigentlich sollte Matteo Pessina gar nicht in Italiens EM-Kader stehen. Jetzt könnte der Spätberufene zum Faktor werden - und es Größen wie Rossi, Schillaci und Grosso gleichtun.
Xhaka macht Petkovic zum "Star of the Match"
Darauf deutete eine Geste des blondierten Anführers Xhaka hin, der nach dem Achtelfinal-Thriller von Bukarest die Trophäe zum "Star of the Match" einfach an den Trainer weiterreichte. Der hatte mit seiner listigen Taktik ja keinen Geringeren als den Weltmeistercoach Didier Deschamps ausgetrickst.
Nun wird er den spanischen Kollegen Luis Enrique herausfordern. "Ich habe, eine Idee, die ich im Training probiere. Dann werde ich eine Nacht durchschlafen und dann sehen wir", sagte Petkovic zum Ende des Medientermins auf Deutsch - und lächelte sanft.