Fußball-EM: Voss-Tecklenburg - Trainerin im Wandel

    Voss-Tecklenburg im Wandel:Mit Energie und Emotionen zum EM-Titel?

    von Frank Hellmann, London
    27.07.2022 | 06:00
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    Von der Alleinunterhalterin zur Teamplayerin: Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat ihre Arbeitsweise angepasst. Das soll den DFB-Frauen zum EM-Finaleinzug verhelfen.

    Seit 2018 DFB-Bundestrainerin: Martina Voss-Tecklenburg
    Seit 2018 DFB-Bundestrainerin: Martina Voss-Tecklenburg
    Quelle: Sebastian Gollnow/dpa

    Es gibt Momente, in denen geht Martina Voss-Tecklenburg das Herz auf. Dann sind die Nationalspielerinnen für die Bundestrainerin einfach nur "tolle Mädels". Die Trainerin hat ihre Arbeitsweise angepasst. Das soll den DFB-Frauen im EM-Halbfinale gegen Frankreich (heute 21 Uhr/live ZDF ab 20:15 Uhr) helfen. Wenn Zeugwart Steve Smith einen Berg schmutziger Wäsche vor sich liegen hat, muss der intern so beliebte US-Amerikaner längst nicht mehr alles allein machen. Die Bundestrainerin erzählt gerne die Episode aus dem Teamquartier im Syon Park von Brentford, dass inzwischen ein halbes Dutzend Spielerinnen beim Vorsortieren hilft.

    Bühl fällt aus: "Blöde Nachricht"

    Es sind kleine Dinge, die Großes wachsen lassen. Wenn alle gemeinsam anpacken, dann wird Deutschlands Nationalteam auch das Halbfinale meistern. Daran soll auch der positive Corona-Test von Klara Bühl nicht viel ändern. Voss-Tecklenburg reagierte nach einer "blöden Nachricht, mit der wir alle überhaupt nicht gerechnet haben", beinahe gewohnt trotzig:

    Die Mannschaft ist so großartig: Das wird uns noch ein Tick mehr zusammenschweißen.

    Martina Voss-Tecklenburg

    Wenn eine aus ihrer Vita weiß wie Widerstände zu überwinden sind, dann ja wohl die Powerfrau vom Niederrhein. Doch hat sie im Grunde drei Jahre gebraucht, um für diesen Kader ein echter Anker zu sein, an den sich alle gerne hängen. Es geht nur, weil auch sie sich geändert hat. Denn als Nationaltrainerin der Schweiz war sie im Grunde von 2012 bis 2018 fast eine Alleinunterhalterin. Ihr kam das eigentlich vom Typ zugute:

    Ich war immer sehr dominant. Ich wollte am liebsten von vorne bis hinten als Trainerin alles allein machen.

    Martina Voss-Tecklenburg

    Mit Amtsantritt als Bundestrainerin war das gänzlich anders. Wenn sie sich ans erste Trainingslager im Februar 2019 in Marbella erinnert - mit ihrer vom Verband eingestellten Assistentin Britta Carlson, dem bei den Spielerinnen aus der Zeit unter Interimstrainer Horst Hrubesch geschätzten Thomas Nörenberg und dem ihr aus der Schweiz gefolgten Assistenztrainer Patrik Grolimund - muss sie heute schmunzeln: "Alle haben wild durcheinandergerufen." 

    2019: Falscher Matchplan - vermeidbares WM-Aus

    Auch in den Rollenverteilungen für die Spielerinnen lag das Trainerteam ziemlich schief. Es kam, was kommen musste: falscher Matchplan im WM-Viertelfinale 2019 gegen Schweden. Vermeidbares Aus. Und viel Wehklagen. Voss-Tecklenburg nahm den Rat vom DFB an, und ging selbst mit Taten voran.
    Sie wollte nicht nur ihre Spielerinnen, sondern auch ihre Helfer besser kennenlernen. Sie mietete eine Location im Schwarzwald. Tagsüber wurden Workshops zu Training, Taktik und Technik gemacht. Danach wurde zusammen gekocht, mit Pfeil und Bogen geschossen, eine Schneeballschlacht gemacht.
    Gelassen, aber auch entschlossen bereitet sich die französische Nationalmannschaft auf das EM-Halbfinale gegen Deutschland vor.27.07.2022 | 1:36 min

    Für Klarheit im Trainerteam gesorgt

    Sie hat auch alle mal zuhause nach Straelen eingeladen und ein Gin-Testing veranstaltet. Ihr Ziel: belastbare Beziehungen schaffen. Ihr Credo: "Wir brauchen erst Klarheit bei uns, bevor wir Klarheit bei den Spielerinnen verlangen."
    Auch mit denen gab es nicht nur eine kontroverse Debatte. Vieles wirkt jetzt bei den Aufgabenverteilungen klarer. Insgesamt gewährt sie heute viel mehr Freiheiten als früher.

    Das tut auch den Spielerinnen gut, dass die Martina nicht immer nur mit dem erhobenen Zeigefinger dasteht.

    Martina Voss-Tecklenburg

    Ihren Mannschaftsrat mit Alexandra Popp, Almuth Schult, Lena Oberdorf, Svenja Huth, Sara Däbritz und Lina Magull bindet sie in Entscheidungsprozesse ein. Die Trainerin legt Wert auf den Perspektivwechsel und will ein Feedback bekommen: "Das macht uns sicherer."

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    Mit Energie, Emotionen und Empathie

    Voss-Tecklenburg ist nicht annähernd so streng wie früher Silvia Neid, die eine lange Erfolgsgeschichte prägte – aber eben auch stets mit viel Druck arbeitete. Voss-Tecklenburg ist da anders: Sie will über ihre Energie, ihre Emotionen und ihre Empathie kommen. Ob diese Erfolgsformel - mit drei Mal "E" zum neunten EM-Titel – aufgeht, ist offen.
    Vor der Hürde Frankreich hat sie einigen Respekt: "Es wird Mentalität brauchen und es wird wehtun. Wir werden alles reinwerfen, was wir haben – das wird ein Top-Halbfinale."
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