Vierschanzentournee: Granerud auf dem Sprung zum Gesamtsieg

    Favorit bei Vierschanzentournee:Granerud und der Traum vom Gesamtsieg

    von Lars Becker
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    Halvor Egner Granerud dominiert die Vierschanzentournee 2022/23 fast nach Belieben. Ein Überflieger, der einst nackt die Schanze heruntersprang.

    Halvor Egner Granerud gewinnt das Springen in Garmisch-Partenkirchen
    Das Jahr fängt gut an: Halvor Egner Granerud bei seinem Sieg in Garmisch-Partenkirchen.
    Quelle: IMAGO/Oryk HAIST

    Halvor Egner Granerud ist in Innsbruck (4. Januar/ARD) und Bischofshofen (6. Januar/ZDF, Qualifikation am 5. Januar) der Topfavorit. Der Norweger könnte als vierter Skispringer nach Sven Hannawald, Kamil Stoch und Ryoyu Kobayashi alle vier Springen bei einer Tournee für sich entscheiden.

    Graneruds Vorbild? Sven Hannawald

    Als Sven Hannawald vor 21 Jahren den letzten deutschen Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee feierte, war der kleine Bub Halvor Egner Granerud im fernen Norwegen einer seiner größten Fans. "Ich bin daheim im Garten gesprungen, und meine Ski hatten die gleiche Farbe wie die von Sven Hannawald", erinnert sich der 26-Jährige Norweger. Jetzt ist Granerud nach seinen Siegen in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirchen auf dem besten Weg, selbst das wichtigste jährliche Skisprung-Event zu gewinnen.
    Ein begnadeter Flieger war der Gesamtweltcup-Sieger 2020/21 schon immer. Doch oft scheiterte er in den vergangenen zwei Wintern an seinen eigenen Nerven. Ob bei der Vierschanzentournee oder der Nordischen Ski-WM 2021 in Oberstdorf, wo er als Topfavorit keine Einzel-Medaille gewann.
    Halvor Egner Granerud jubelt beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen
    Sieg für Norwegen: Halvor Egner Granerud jubelt beim Neujahrsspringen.
    Quelle: imago/Oryk HAIST

    "Halvor ist ein 24-Stunden-Athlet, tut alles für den Sport. Manchmal etwas zu detailverliebt und zu verkopft," sagt der norwegische Cheftrainer Alexander Stöckl: "Aber er bekommt das immer besser in den Griff.

    Bei den wichtigsten Springen des Jahres so eine Leistung zu zeigen, ist gigantisch und extrem nervenstark.

    Alexander Stöckl

    Granerud selbst sagt, dass er "einen Weg gefunden hat, mit dem Druck umzugehen." Dabei half ihm auch ein Psychologe. Deshalb setzte er sich direkt nach seinem Siegsprung beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen in Yoga-Meditationspose in den Schnee – genau wie Fußball-Weltstar Erling Haaland, sein berühmter norwegischer Landsmann, es nach Toren schon oft getan hat.
    "Ich habe so viel Freude, Stolz und Erleichterung gefühlt. Schließlich ist einer meiner größten Träume als Skispringer in Erfüllung gegangen," sagt Granerud. Ein noch größerer Traum wäre der erste norwegische Tournee-Gesamtsieg seit Anders Jacobsen vor 16 Jahren: "Das würde die Welt für mich bedeuten."

    Vierschanzentournee: Granerud in Führung vor Kubacki

    Bei 26,8 Punkte Vorsprung in der Tournee-Gesamtwertung auf den Polen Dawid Kubacki – das sind fast 15 Meter – ist das mehr als wahrscheinlich. Und das, obwohl Coach Stöckl auf dem Trainerturm immer zittert, ob Granerud seinen rechten Ski rechtzeitig in die richtige Flugposition bringt. "Trotz seines Skifehlers macht Granerud vor allem im Flug die entscheidenden Meter. Wenn sein System greift, dann fliegt er einfach geradeaus", meint Karl Geiger.
    Granerud ist ein außergewöhnlicher Charakter, das zeichnete sich schon in seiner Kindheit ab. Seinen Eltern hat er beispielsweise den klaren Auftrag mitgegeben, dass sie ihn vom Playstation-Spielen abhalten sollen.

    Schließlich will ich einmal der Beste der Welt werden.

    Halvor Egner Granerud

    Auf dem Weg dahin gab es einige lustige Umwege. In seiner wilden Jugendzeit sprang Granerud nach einem Grillfest mit Freunden nackt von einer 60-Meter-Schanze in Oslo.
    Später jobbte der Skisprung-Star in einem Kindergarten in seiner Heimat Trondheim. Dort musste er sich im Frühling 2020 Geld dazuverdienen, nachdem im Winter davor ein 23. Platz sein bestes Weltcup-Resultat gewesen war.
    Der vielseitige Spaßvogel machte auch in dem neuen Job mitten im Corona-Lockdown eine sehr gute Figur. Granerud machte sich in dieser Zeit aber auch Gedanken, was er aus seinem Skispringer-Leben machen will.

    Zwei Titel im Corona-Winter

    Das war der Beginn seines spektakulären Aufstiegs. Im Winter 2020/21 gewann er den Gesamtweltcup und den Team-Titel bei der Skiflug-WM. Allerdings musste er in jenem Winter auch eine lange Quarantäne nach einer Corona-Erkrankung in Oberstdorf überstehen.
    An Tag 14 der Quarantäne postete Granerud ein Bild von sich beim Kaffeetrinken mit einem Schneemann. Dessen Name: Wilson. Wie im Film "Cast Away – Verschollen", in dem Tom Hanks nach einem Flugzeugabsturz auf einer einsamen Insel strandet und ein Ball namens Wilson sein einziger Gesprächspartner ist. Jetzt will jeder mit ihm reden.

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