Selbst beim FC Bayern ist nicht jedes Heimspiel ausverkauft, obwohl die Kapazität gegeben ist. Sportwissenschaftler Harald Lange erklärt, inwieweit das an Corona liegt.
Trotz Kapazitätserweiterungen gibt es in den Stadien freie Plätze. Fanforscher und Sportwissenschaftler Prof. Harald Lange hat dafür eine Theorie und warnt vor den Konsequenzen für den Fußball.
ZDFheute: Wieso haben die Fußball-Bundesligisten aktuell solche Probleme, ihre Stadien voll zu bekommen?
Professor Harald Lange: Erstens haben die Menschen Corona-bedingt noch Sorge wegen der Sicherheit. Sie trauen sich nicht in großen Gruppen aufzuhalten. Ein zweiter Punkt geht eher in eine andere, viel grundsätzlichere Richtung: Die Pandemie hat quasi als Katalysator gewirkt, sodass wir die Differenz zwischen der Fan-Basis und denen da oben im Profifußball deutlicher wahrnehmen können. Und deshalb ist zwischen der Fan-Basis und den Fußballspielern eine Distanz aufgekommen.
ZDFheute: Hat das auch mit der Sonderrolle des Fußballs in der Pandemie zu tun?
Lange: Auf jeden Fall. Man hat über die Geisterspiele öffentlich debattiert - und man war anfangs in den Chef-Etagen des deutschen Fußballs sichtlich überrascht, dass da plötzlich so viel Gegenwind kam. Zunächst aus der Gesellschaft, dann auch in diversen Umfragen. Die Stimmung ist dann von März 2020 bis zum Mai/Juni 2020 vollends gekippt. Da waren über 60 Prozent der Menschen gegen eine Sonderrolle. Damit hat man schlichtweg nicht gerechnet. Die Fans wollen Chancengleichheit, sie wollen Reformen. Die Krise hat eindrücklich gezeigt, dass es eine Schieflage im Kommerz-Fußball gibt. Es gibt viele Baustellen - und die müssen angegangen werden. Idealerweise unter Einbeziehung der gesamten Gesellschaft, die sich für den Fußball interessiert.
- Der Liga fehlt der Kick
Diese Saison hat keinen so richtig mitgerissen: Kaum Spannung an der Spitze, nur etwas Nervenkitzel am Tabellenende. Aber das ist nicht das einzige Problem der Fußball-Bundesliga.
ZDFheute: Glauben Sie, dass die Fans wieder zurückkommen, wenn wieder Normalität eintritt?
Lange: Es braucht jetzt Reformen - und zwar auch dahingehend, dass der professionelle Fußball und die Führung im Fußball mehr Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Es gibt das Bedürfnis - vor allem bei Fußballfans -, mitreden zu wollen, gehört zu werden und eine Position abzugeben. Und das muss man wissen, wenn man die Geschicke im Fußball lenkt und leitet. Und eigentlich glaube ich, dass man das in der DFL auf jeden Fall und vielleicht sogar beim DFB versteht.
ZDFheute: Die Inzidenzen steigen stark an, Bayern hat schon den Katastrophenfall ausgerufen. Was würde ein erneuter Lockdown für den Fußball bedeuten?
Lange: Das würde die Faszination am Fußball wieder jäh kappen. Und: Die schon vorhandene und über anderthalb Jahre gewachsene Distanz zwischen der Fan-Basis und dem Profi-Fußball nähme weiteren Schaden. Meine These ist: Je länger sowas dauert, desto nachhaltiger wirkt es auch. Also desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass viele dieser sich abwendenden Fans dann irgendwann wieder zurückkehren werden. Das ist sehr unglücklich für den Fußball. Aber auch da darf der Fußball keine Sonderrolle haben. Für die Friseure in diesem Land, für die Kneipen-Betreiber, die Restaurantbesitzer ist das ganz genauso, und für viele andere Unternehmen auch.
Das Gespräch führte Franziska Müllers
- Coronavirus
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