Ausgangssperre, Notbremse: Damit soll jetzt die Corona-Pandemie bekämpft werden. Doch die Maßnahmen sind umstritten. Selten war es im Bundestag so laut wie heute.
Schon nach wenigen Minuten musste Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble die Rede von Kanzlerin Angela Merkel unterbrechen. Grundrauschen und Zwischenrufe wurden ihm zu viel. "Glauben Sie", ermahnte er die Abgeordneten, "angesichts der Notlage und der Sorgen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, dass wir, wie wir hier debattieren, dem nicht Rechnung tragen müssen? Ich bitte Sie doch herzlich."
FDP gegen Ausgangssperre
Viel gebracht hat die Ermahnung nicht. Vor allem die geplante Ausgangsbeschränkung zwischen 21 und 5 Uhr ist strittig, auch in der Koalitionspartei SPD. Bis auf die Union wollen sie eigentlich alle Parteien in dem jetzt folgenden parlamentarischen Verfahren ändern oder völlig kippen.
Für FDP-Chef Christian Lindner ist sie nicht verfassungsgemäß, weil sie nicht verhältnismäßig sei. Sie verbiete den abendlichen Spaziergang den Geimpften und Nichtgeimpften, ob Corona lediglich in einer Firma oder in einem ganzen Landkreis ausbreche.
Da hält es Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus wenige Meter gegenüber des Rednerpultes kaum auf seinem Stuhl. Lindner, der die Zwischenrufe bestens verstehen kann, keilt zurück: "Entschuldigung, Herr Kollege Brinkhaus", sagt er, Brinkhaus solle "doch eher schätzen", wenn die FDP verfassungsrechtliche Bedenken habe:
AfD sieht "autoritären Ungeist"
"Destruktiv", schallt es da aus der Union zurück. Überhaupt findet die eine Seite meistens, dass die andere Seite entweder gar keine oder eben die falschen Ideen hat, wie die Pandemie bekämpft werden kann. "Ich habe keine Vorschläge von Frau Weidel gehört", sagte etwa SPD-Vizefraktionschefin Bärbel Bas nach der Rede von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel.
Die hatte der Bundesregierung vorgeworfen, aus der Notbremse spreche "autoritärer Ungeist" und "Misstrauen gegenüber den Bürgern". Mit der "Dauer-Lockdown-Politik" wolle die Kanzlerin das "ganze Land an die Wand fahren". Das Infektionsschutzgesetz sei:
Christian Lindner (FDP) wirft der Regierung und Olaf Scholz (SPD) vor, mit der Bundes-Notbremse nicht verfassungskonform zu sein.
Merkel: Notbremse ist "überfällig"
Das erweiterte Infektionsschutzgesetz gibt dem Bund so viele Eingriffsmöglichkeiten wie nie. Diese einheitliche Notbremse sei "überfällig", so hatte es Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede gesagt. Die Maßnahmen in Bund, Ländern und Kommunen seien dann nicht mehr "Auslegungssache", sondern könne man so "besser bündeln als zuletzt".
Merkel sprach sich dabei für die Ausgangssperre aus. Sie sei keine "neue Erfindung", die "Vorteile überwiegen die Nachteile":
Einmal mehr sprang SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ihr bei, was aus der Opposition mit "Oh je" quittiert wurde. Applaus bekam er dann doch: Mit dieser Haltung, dass man sich hier gegenseitig "kompliziert erkläre, was in Deutschland nicht funktioniere", komme man gegen die dritte Welle nicht weiter, sagte Lauterbach:
Kein Land habe es ohne Ausgangsbeschränkung geschafft, die Inzidenz zu senken, so Lauterbach.
Linke kritisiert Union: "Wachsweich" zur Wirtschaft
So strittig einzelne Maßnahmen der Notbremse, so laut ist auch die Kritik an dem ganzen Verfahren. Der Bundestag werde nicht einbezogen, "sondern ausgeschaltet", warf Fraktionschef Dietmar Bartsch der Regierung vor. Sie wolle einen "Blankoscheck". Einen "Freibrief", ergänzte sein Fraktionskollege Klaus Ernst:
Bartsch nutzte seine Redezeit zu einem Generalabwasch: Die Unionsminister regierten schlecht. Das sei besonders "verwerflich, weil die Union das ganze Land mit seinen Personalproblemen belästigt". Unternehmen würden in der Pandemie geschont. Zu Kindern sei man "hammerhart", aber zur Wirtschaft "wachsweich", so Bartsch. "Haben Sie Sorge, dass die Union keine Spenden für die Bundestagwahl kriegt?"
Diskussion geht weiter
Heute schon geht die Diskussion weiter. Dann werden in den Ausschüssen die Experten zum Gesetzentwurf angehört. Nächste Woche will der Bundestag das Gesetz beschließen. Dann muss sich der Bundesrat noch damit befassen, der Bundespräsident unterschreiben, es veröffentlicht werden - und dann gilt schon am übernächsten Tag die Notbremse.
Wenn die Inzidenz drei Tage hintereinander über 100 liegt. Also in gut einer Woche plus x. Oder so.