Energiekrisen-Protest: AfD will "Volkes Zorn" unterstützen
Protestkampagne zu Energiekrise:AfD-Chef will "Volkes Zorn" unterstützen
von David Gebhard und Julia Klaus
19.08.2022 | 17:53
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Nach der Linken sickern nun auch Pläne der AfD für einen Protestherbst durch. Die extrem rechte Partei will eine Kampagne starten - und die Linke mit einer alten Idee spalten.
AfD-Chef Tino Chrupalla plant ab Oktober eine Protest-Kampagne gegen die Energiekrise.
Quelle: dpa
Tino Chrupalla grinst am Ende seiner Interview-Antwort. Der Versuch, einen Keil in die linke Konkurrenz zu treiben, macht ihm sichtbar Freude. Gerade hat er quasi Sympathisanten der Linkspartei eingeladen, mit der AfD zusammen gegen die Energiekrise auf die Straße zu gehen. Wer sich der AfD anschließe, sei "herzlich willkommen", sagt er ZDFheute.
Die AfD hat offensichtlich keinerlei Berührungsängste, mit der extremen Rechten, aber auch mit Linken zu demonstrieren. Das Kalkül: Die Linkspartei könnte sich in Abrenzungsdebatten verzetteln und darüber zerlegen. In Teilen passiert das bereits. Der Ostbeauftragte der Linken, Sören Pellmann, hatte Montagsdemos ab September gefordert, um gegen hohe Energiepreise zu demonstrieren. Er holte sich direkt eine Schelte von Bodo Ramelow ein, Thüringens Linken-Ministerpräsident: Man dürfe bloß nicht neben Rechtsextremen laufen. Parteichefin Wissler wiederum unterstützt den Demo-Vorstoß.
Nun kündigt auch die AfD-Spitze eine großangelegte Kampagne für den Herbst an. Ab Oktober solle es losgehen, sagte der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla zu ZDFheute:
Wir werden dazu eine Großdemonstration in Berlin stattfinden lassen und natürlich auch in den weiteren Landeshauptstädten.
Tino Chrupalla, AfD-Vorsitzender
Das mache man, so Chrupalla, "um den Protest der Bürger auf die Straße zu bringen und Volkes Zorn - so will ich es mal bezeichnen - zu unterstützen."
Die AfD will an den "Flüchtlings-Herbst" anknüpfen
Erstmals spricht die AfD-Spitze so offen davon, sich "Volkes Zorn" über die Energiepreise zunutze machen zu wollen. Insbesondere im Osten hofft man, ein ähnlich großes Mobilisierungspotenzial erschließen zu können wie im Winter für die Corona-Demos oder im Herbst 2015 gegen Merkels Flüchtlingspolitik. Die sogenannte Flüchtlingskrise hatte Alexander Gauland einst zynisch als "Geschenk" für die AfD bezeichnet. Viele in der Partei hoffen nun auf eine neue "Bescherung".
Thüringens AfD-Chef Björn Höcke kündigte am Freitag im MDR-Sommerinterview an, als Landesverband schon Mitte September auf die Straße gehen zu wollen:
Wie wir das machen: Ob wir das immer als AfD tun oder ob wir das als solidarische Aktion mit weiteren 'Spaziergängern', das wird dann spontan entschieden werden.
Der Ostbeauftragte der Linkspartei ruft zu Montagsdemos gegen steigende Energiepreise auf. Die werden derzeit jedoch von Corona-Kritikern besetzt. Kommt der Herbst der Proteste?
von Julia Klaus
"Querfront"-Idee liegt schon lange in rechtsextremer Schublade
Schon seit Jahren träumen Rechtsextreme davon, über eine soziale Krise, Massenproteste und Bürgerwut das bestehende demokratische System grundsätzlich ins Wanken zu bringen. 2018 hatte Höcke, den der Bundesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem einstuft, in seinem Buch frohlockt: "Die Entladung des aufgestauten Drucks wird irgendwann kommen, die geballten Fäuste werden dann in die Luft gerissen und das Volk, der große Lümmel, an den Festungstoren der Machthaber rütteln."
Seine Vision schon damals: Es brauche eine "nationale Verständigung" mit Teilen der Linken - und Menschen wie Sahra Wagenknecht.
Nun könnte die Zeit reif sein für derlei "Querfront"-Fantasien. Ziel dieser Strategie ist, dass sich politisch gegensätzliche Lager verbinden, um politische Macht zu erringen. Auch der neurechte Vordenker Götz Kubitschek, dessen Thinkthank vom Landesverfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" beobachtet werden darf, betont, man habe den politischen Auftrag "den heißen Herbst mit anzuheizen".
Wie genau die AfD das schaffen möchte, das formulierte der Brandenburger AfD-Fraktionschef Christoph Berndt kürzlich: "Dezentral, so, wie es im letzten Winter war, an tausenden Orten gleichzeitig auf die Straße gehen, überall Initiativen bilden, überall aktiv werden, sich überall vernetzen - das entfaltet eine Kraft, der wird die Regierung nicht widerstehen können."
Auf ihrem Parteitag wählt die AfD einen Vorstand "nach dem Geschmack" des Thüringer Landeschefs Björn Höcke. Die AfD häutet sich und legt endgültig ihren rechtsextremen Kern frei.19.06.2022 | 5:38 min
Verfassungsschützer in Ostdeutschland sehen für den Herbst und Winter Eskalationspotenzial. Der Brandenburger Chef Jörg Müller betonte gegenüber ZDFheute: "Wer friedlich demonstrieren möchte, soll das gerne tun. Denn jeder hat das Recht dazu."
Aber die Menschen sollten darauf achten, dabei nicht in die Fänge von Extremisten zu geraten. Denn die wollen unsere Freiheit abschaffen. Und dafür streben sie einen Wut-Winter an. Die Sorgen und Ängste der Menschen werden von Extremisten missbraucht.
Jörg Müller, Präsident Landesverfassungsschutz Brandenburg
Sein Thüringer Amtskollege Stephan Kramer hatte im ZDF bereits vor einer "explosiven Stimmung, die leicht eskalieren könnte" gewarnt. Dem RND sagte er am Freitag, die Linke müsse auch "höllisch aufpassen, nicht Hand in Hand mit der AfD zu marschieren".
Für den Politologen Hans Vorländer geht es in den kommenden Wochen darum, wer den Protest auf der Straße - wie groß auch immer der ausfällt - dominieren kann. ZDFheute sagte er:
Da liegt großes Potenzial für die AfD, weil sie nirgendwo in der Regierung sitzt. Die Linke dagegen wird als Teil des Establishments angesehen. Sie wird es deshalb nicht schaffen, sich an die Spitze des Protests zu setzen.
Hans Vorländer, Politologe Technische Universität Dresden
Linke und extrem Rechte konkurrieren um ein mögliches Protest-Potenzial und hoffen, bei allen Unterschieden, dass der Herbst ihnen einen Frühling beschert.
Energie, Lebensmittel, Freizeit: In fast allen Bereichen sind die Kosten auch im Juni gestiegen. Doch 9-Euro-Ticket und Tankrabatt wirken dem Trend entgegen.