Vebraucherschützer fordern, dass die Vorkasse-Praxis bei Flugticketkäufen entfällt. Damit gebe der Passagier zinslose Kredite an die Airlines. Diese sehen das natürlich anders.
Geht es nach dem Willen von Verbraucherschützern, müssen Flugpassagiere künftig nicht mehr gleich bei der Buchung den vollen Ticketpreis bezahlen. Das von SPD und CDU regierte Land Niedersachsen hat sich mit einer Bundesratsinitiative den Vorstoß der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) gegen die Vorkasse zu eigen gemacht.
Auch aus dem grün geführten Bundesministerium für Umwelt und Verbraucherschutz kommt Rückenwind. Die Airlines und ihre Verbände halten dagegen.
Von der Bundesregierung verlange man, die Vorkasse-Praxis zu reformieren. Gezahlt werden solle künftig erst beim Check-in.
Lange Warteschlangen, Verspätungen, gestrichene Starts - das Abfertigungs-Chaos an deutschen Flughäfen ist auch auf Personalmangel zurückzuführen. Die Bundesregierung will für die Betreiber die Anwerbung ausländischer Fachkräfte erleichtern.
Drei Urteile sprechen für die Vorkasse-Praxis
Die Fluggesellschaften seien in der Pflicht, bei berechtigten Ansprüchen Erstattungen, Ausgleichszahlungen und Entschädigungen schnell und unbürokratisch zu leisten, formulierte am Montag ein Sprecher von Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne). Wenn dies nicht laufe, werde man die Vorkasse-Praxis überprüfen.
Allerdings existieren drei Urteile des Bundesgerichtshofs, der noch im Jahr 2016 das Vorkasse-Prinzip der Airlines für rechtmäßig erklärt hat. Die Verbraucher seien durch die EU-Fluggastverordnung ausreichend geschützt und das Insolvenzrisiko durch staatliche Kontrolle in Grenzen gehalten, befanden die Bundesrichter. Mögliche Zinsnachteile der Kunden würden regelmäßig durch Preisvorteile bei frühen Buchungen ausgeglichen.
Chaos an Flughäfen sorgte für Tausende Erstattungen
Seitdem haben sich aber die Zeiten geändert, meinen die Verbraucherschützer, die nun auf eine Gesetzesänderung dringen: Nur kurze Zeit nach dem BGH-Urteil blieben Tausende Kunden der insolventen Air Berlin bis auf Weiteres auf ihren Ticketkosten sitze.
Es folgten der Chaos-Sommer 2018 und schließlich der Corona-Schock im März 2020. Hunderttausende Tickets wurden von jetzt auf gleich storniert, der Lufthansa-Konzern schaltete die automatisierte Erstattung ab, um nicht durch den Abfluss von Kundengeldern in Milliardenhöhe direkt in die Pleite abzustürzen.
Den Neustart in diesem Sommer hat das Luftverkehrssystem dann ziemlich verpatzt. Fehlende Arbeitskräfte an den Flughäfen und in den Jets führten zu unterirdischen Pünktlichkeitswerten, so dass allein Lufthansa in München und Frankfurt an die 7.000 Flüge streichen musste, um das System zu stabilisieren. An den NRW-Flughäfen waren von Mitte Mai bis Mitte Juli mehr als 258.000 Passagiere von Flugausfällen betroffen, wie die Landesregierung in Düsseldorf auf Anfrage berichtete.
Mehr als 1000 abgesagte Flüge, rund 134.000 betroffene Passagiere: Mitten in der Ferienzeit hat ein Streik des Lufthansa-Bodenpersonals die Airline lahmgelegt.
Lufthansa: Leisten Erstattungen pünktlich
Sie alle hatten mutmaßlich das Recht auf eine Erstattung des Ticketpreises innerhalb von sieben Tagen sowie auf Entschädigungszahlungen zwischen 250 und 600 Euro nach der EU-Fluggastrichtlinie 261, die bereits ab drei Stunden Verspätung greift. Auch bei der Schlichtungsstelle für den Öffentlichen Personenverkehr (SÖP) sind die Fallzahlen laut "Handelsblatt" um mehr als das Doppelte gestiegen."In der Praxis funktioniert das Recht nicht", ist Helga Zander-Hayat von der Verbraucherzentrale NRW überzeugt.
Eine Sprecherin der Lufthansa hält dagegen:
Die Vorkasse sei international und auch in anderen Dienstleistungsbranchen üblich, argumentiert der Branchenverband BDL. "Die Fluggesellschaften erhalten durch die Vorkasse Planungssicherheit und können ihre Flugzeuge optimal auslasten, was positiv für das Klima sei. Ihren Kunden können sie im Gegenzug dafür attraktive Frühbucherrabatte anbieten", sagt BDL-Hauptgeschäftsführer Matthias von Randow.
Verkehrsministerium will EU-weite Regelung
Im Bundesverkehrsministerium sieht man den niedersächsischen Vorstoß skeptisch. Man werde den Vorschlag prüfen, sagte ein Sprecher des Ministers Volker Wissing (FDP) dem "Handelsblatt". Grundsätzlich strebe die Bundesregierung aber eine EU-weite Lösung an, weil nationale Regelungen umgangen werden und zu Wettbewerbsnachteilen führen könnten.
Die EU-Kommission hatte bereits 2013 unter anderem vorgeschlagen, die seit 2004 bestehenden Entschädigungsansprüche erst nach fünf Stunden auszulösen und zudem neue "Enthaftungsgründe" einzuführen, bei denen die Airlines nicht zahlen müssten. In dieser Diskussion gilt es, rechtzeitig Argumente und Punkte zu sammeln.