Dauerzustand: Wie die Argentinier mit der Inflation umgehen

    Teuerung von 71 Prozent:Wie Argentinien mit der Dauerinflation umgeht

    15.08.2022 | 11:48
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    Kaum ein Land hat soviel Erfahrungen mit der Inflation gemacht wie Argentinien. Mittlerweile sind die Menschen erfinderisch geworden, wie sie mit der Teuerung umgehen.

    Mann sammelt Altpapier in Buenos Aires, Argentinien
    Leben mit der Dauerinflation: Mann sammelt Altpapier in Buenos Aires, Argentinien.
    Quelle: ap

    Um mehr als zwei Drittel, ganze 71 Prozent, sind die Verbraucherpreise in Argentinien über das Jahr hinweg gestiegen. Damit belegt das südamerikansiche Land erneut den Spitzenplatz in der weltweiten Inflationsliste .
    Dagegen will Argentiniens neuer Wirtschaftsminister Sergio Massa vorgehen. Kurz nach seiner Vereidigung kündigte er an:

    Eines der zentralen Themen meiner Amtszeit wird der Kampf gegen die Inflation sein.

    Sergio Massa, Wirtschaftsminister Argentiniens

    Seine Vorgängerin hatte sich gerade mal einen knappen Monat in dem schwierigen Amt gehalten, Massa will nun das Ruder herumreißen.

    Argentinier sind Inflationsexperten

    Die Menschen in dem Land dürften solche Kampfansagen gewohnt sein. Denn während eine kräftige Inflation für die Menschen in den meisten Länder etwas Neues ist, sind die Argentinier wahre Inflationsexperten. In den vergangenen 50 Jahren waren die Preise in dem Land nur selten stabil.
    Ende der 1980er Jahre schnellte die Inflationsrate auf sagenhafte 3.000 Prozent. Seit 2018 lag die jährliche Teuerungsrate immer über 30 Prozent. Analysten rechnen für Ende des Jahres mit einer Inflationsrate von rund 90 Prozent.
    Da die Regierung bisher wenig daran rütteln konnte, haben die Menschen in Argentinien im Laufe der Zeit allerdings eine Reihe von Strategien entwickelt, um die Folgen der Inflation zumindest abzufedern:

    Kaufen auf Pump

    Da Schulden wegen des Wertverfalls des Peso mit der Zeit immer geringer werden, strecken die Kunden die Bezahlung vieler Produkte über einen möglichst langen Zeitraum. Gerade bei größeren Anschaffungen werden oft Ratenzahlungen ohne Zinsen angeboten, wobei es sich faktisch um einen Preisnachlass handelt.
    Aber selbst beim Einkauf von Lebensmitteln im Supermarkt fragen die Kassierer stets, ob man die Zahlung auf mehrere Raten verteilen möchte. Ständiges Vergleichen und die Suche nach Sonderangeboten gehört für viele Argentinier zum Alltag.

    Sparen in Dollar

    Das wichtigste Instrument der Argentinier im Kampf gegen die Inflation ist aber der Dollar. Da die Inflation die Ersparnisse in Pesos innerhalb kürzester Zeit auffressen würden, legen die Argentinier jeden überschüssigen Peso in Dollars an. Schätzungen zufolge besitzen sie 200 Milliarden US-Dollar in bar. Das sind 10 Prozent aller sich im Umlauf befindenden Dollar-Scheine weltweit - und 20 Prozent aller Dollar außerhalb der USA.

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    Weil Argentinien kaum noch über Dollar-Reserven verfügt, dürfen die Argentinier allerdings nur 200 Dollar pro Monat zum offiziellen Wechselkurs von 140 Pesos kaufen. Auf dem Schwarzmarkt kostet der Dollar mehr als doppelt soviel.

    Handel durch Tauschen

    In den ärmeren Vierteln hingegen verabschieden sich immer mehr Menschen ganz von der Geldwirtschaft und verlegen sich wieder auf Tauschhandel. Sie treffen sich in Vereinen oder unter freiem Himmel und tauschen gebrauchte Kleider gegen Lebensmittel und Windeln gegen Baumaterial.
    In Villa Fiorito zeigt sich, was das bedeutet. Jeden Nachmittag von Montag bis Samstag kommen hier Frauen zusammen, die hoffen, Dinge, die sie entbehren können, gegen Lebensnotwendiges eintauschen zu können.
    Auf einem Platz legen sie ihre Decken aus und breiten sorgsam die Ware aus, die sie mitgebracht haben: Kleidung, Spielzeug, Küchenutensilien. Dafür hätten sie gern Essen für die Kinder. Die Kordinatorin des Markes erklärt:

    Es ist ein Leben von der Hand in den Mund.

    María Inés Pereyra

    Über die Händlerinnen sagt sie: "Alles was sie heute bekommen, stellen sie direkt auf den Esstisch."
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    Grafiken
    Quelle: Débora Rey, AP und Denis Düttmann, dpa

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