Hunderte medizinische Versorgungszentren sind in Deutschland bereits in Finanzinvestorenhand. Experten kritisieren eine "verschärfte Renditejagd" zulasten von Patienten.
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Eine "Investoren-Schlacht um Deutschlands Arztpraxen" sieht der Verband der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte (Virchowbund) im Gange. Die "Renditejagd" im deutschen Gesundheitswesen verschärfe sich.
In den Fokus von Finanz- und Großinvestoren sind Experten zufolge viele Augenarztpraxen gerückt, aber auch andere Fachgruppen wie Radiologen, Gynäkologen, Internisten und Zahnärzte.
Kritik an Investoren: Hohe Rendite auf Kosten der Patienten
Virchowbund-Chef Heinrich kritisiert, dass sich investorenbetriebene Medizinische Versorgungszentren (MVZ) "auf wenige renditeträchtige Leistungen zu Lasten der Grundversorgung" der Patienten konzentrierten.
Ihr Ziel demnach: hohe Gewinne aus dem laufenden Betrieb und ein schnell steigender Wiederverkaufswert.
Studie: Höhere Honorarumsätze in Investoren-Praxen
Mit Blick auf den finanziellen Aspekt kommt eine aktuelle Studie des IGES-Instituts für die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns zu dem Ergebnis, dass investorenbetriebene MVZ deutlich höhere Honorarumsätze von mehr als zehn Prozent erzielten als Einzelpraxen.
"Besonders viel mehr erwirtschafteten" Investoren-MVZ demnach in den Fachrichtungen Augenheilkunde und Gynäkologie, deren Honorarvolumen circa 16 Prozent höher sei als das von entsprechenden Ärzten aus Einzelpraxen.
Rechtsgutachten: "Gefahren für das Patientenwohl"
Eine vorangegangene IGES-Studie kam für die Zahnmedizin zu ähnlichen Ergebnissen. Ein Grund hierfür sei, dass investorengeführte zahnärztliche Praxisketten "vermehrt betriebswirtschaftlich attraktivere Leistungen erbringen, während sie weniger attraktive Leistungen vernachlässigen".
Ein Rechtsgutachten des Wissenschaftlers Helge Sodan im Auftrag der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) kam außerdem zu dem Ergebnis, dass sich durch die Beteiligung von Finanzinvestoren an der vertragszahnärztlichen Versorgung "Gefahren für das Patientenwohl und für die Versorgungsqualität ableiten" ließen.
Konkret heißt es in dem Gutachten:
Der Interessenverband der investorengeführten Zahnarztpraxen weist dies zurück:
Kritik an "Über- und Fehlversorgung" von Patienten
Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der KZBV, sieht dagegen "dringenden Handlungsbedarf". Durch einen "wachsenden Kommerzialisierungsdruck" in Investoren-MVZ bestehe eine "Tendenz zu Über- und Fehlversorgung" der Patienten.
Dem hält BNZK-Chef Dr. Wichels entgegen: "Durch ihre Spezialisierung können zahnmedizinische Versorgungszentren besonders beratungsintensive Leistungen anbieten."
Eigene BNZK-Datenerhebungen zeigten dem Verbandsvorsitzenden zufolge, dass sich der Anteil der gesetzlich Krankenversicherten nach der Übernahme einer Praxis durch Investoren „sogar nennenswert“ erhöhe.
Wo Kranke nicht mehr versorgt werden
Investoren aus der EU, Bahrain und Jersey
Ungeachtet dessen beobachtet die KZBV eine "sehr dynamische Entwicklung" im Markt: Mehr als jedes vierte zahnmedizinische Versorgungszentrum in Deutschland habe sich Ende 2021 bereits in Investorenhand befunden.
Die KZBV hat 14 Groß- und Finanzinvestoren identifiziert. Diese kommen aus Deutschland, Belgien, Luxemburg, Frankreich oder Schweden, aber auch aus Bahrain oder von der Kanalinsel Jersey.
Ärzteverbände fordern mehr Transparenz
Wie die KZBV fordert der Virchowbund ein Transparenzregister für MVZ. Künftig müsse der wirtschaftlich Berechtigte sofort klar erkennbar sein. Jeder Patient solle wissen können, wem der wirtschaftliche Ertrag zufließt.
Um Spekulation mit raschen Wiederverkäufen zu verhindern, schlägt der Virchowbund zudem vor, MVZ-Trägern die Zulassung zu entziehen, wenn innerhalb von fünf Jahren die Mehrheit der Gesellschaftsanteile veräußert werde oder die wirtschaftlich berechtigten Personen wechselten.
Politische Diskussion läuft - Ergebnis offen
Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums weist auf ZDFheute-Anfrage darauf hin, dass die Rahmenbedingungen für die Teilnahme von investorenbetriebenen MVZ an der ambulanten Versorgung in der Vergangenheit bereits "mehrfach gesetzlich eingeschränkt" worden seien.
In dem Schreiben des Ministeriums heißt es: "Der Gesetzgeber begründete die getroffenen Schutzvorkehrungen insbesondere mit der Annahme, dass der Betrieb von MVZ in Investorenhand mit einer Gefahr für die Integrität, Qualität und Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Berufsausübung, mit Verdrängungseffekten zulasten selbständig niedergelassener Ärztinnen und Ärzte sowie mit der Gefährdung einer ausgewogenen flächendeckenden Versorgung verbunden ist."
Auch aufgrund der Ergebnisse neuer Gutachten laufe die politische Diskussion weiter. Entscheidungen seien aber noch nicht getroffen worden.