Die deutsche Autoindustrie wandelt sich gerade radikal. Eine IW-Studie zeigt, was Regionen, die besonders vom Auslaufmodell Verbrenner abhängen, erwartet - und was sie tun können.
"An irgendeinem Punkt muss man den Sprung ins Ungewisse wagen. Erstens, weil selbst die richtige Entscheidung falsch ist, wenn sie zu spät erfolgt. Zweitens, weil es in den meisten Fällen so etwas wie Gewissheit gar nicht gibt." Als der legendäre Automanager Lee Iacocca Ende der 70er-Jahre Chef von Chrysler wurde, waren viele Amerikaner der riesigen Spritfresser überdrüssig, die Tag für Tag die Bänder in Detroit verließen.
Ja: überdrüssig. So ungläubig man als Europäer vor diesem Wort steht, das so gar nicht in unser Bild von den autobesoffenen Amis passen will, so ungläubig starrten die Bosse von Ford, Chrysler & Co. auf die Umfragen der damaligen Zeit. Sie ließen nur einen Schluss zu: kleinere Autos.
Lee Iacocca entwickelte ein System, um solche Autos zu bauen. Henry Ford II. erklärte ihn zum Phantasten und warf ihn hinaus. Chrysler stellte ihn ein. Das "K-Car" wurde geboren - so etwas wie die heutige Kompaktklasse.
Entscheidung für E-Antrieb hat viele Auswirkungen
Wer die Debatte um den Elektroantrieb in den Chefetagen der deutschen Autohersteller in den letzten Jahren verfolgt hat, der mag sich an den zweiten Satz des Iacocca-Zitats erinnern:
Zu spät. Dies ist mit Blick auf die deutschen Hersteller eine fast schon allgemeingültige Zustandsbeschreibung. Nun sind die Würfel gefallen und auch dieses Zitat wird nicht grundlos bemüht: Die einstigen selbsternannten Weltenlenker von BMW, VW und Daimler beantworten mit der Entscheidung für den E-Antrieb die Schicksalsfrage der deutschen Schlüsselindustrie.
Neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft
Wie sehr das Land vom Auto geprägt ist, hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in einer aktuellen Studie mal aufbereitet. Demnach arbeiten hierzulande mehr als drei Millionen Menschen direkt oder indirekt für die Automobilwirtschaft - vom Bandarbeiter bis zum Tankstellenpächter.
Etwa die Hälfte davon (1,2 Millionen) sind in so genannten produktionsnahen Bereichen tätig. In rund 44.000 Betrieben bauen sie Kurbelwellen, Einspritzpumpen oder kleinste Stecker für das Bordnetz. Und hier, in diesen Unternehmen (zumeist Zulieferer) beginnt das Problem mit Entscheidungen, die in den Chefetagen der Autohersteller spät, halbherzig und am Ende in großer Eile getroffen wurden.
Der Verbrenner: ein Auslaufmodell
Über eine Viertelmillion Menschen arbeiten bislang noch an einer Technologie, die parteiübergreifend zum Alteisen gerechnet wird: Dem Verbrennungsmotor. Bei den Vorsondierungen zur sogenannten Ampel-Koalition wurde zwar kein Datum genannt, ab dem der Verbrenner in Deutschland verboten werden sollte. Doch die Experten des Instituts für Wirtschaft (IW) in Köln sind sich einig:
Das konstatiert Hanno Kempermann, Mitautor der Studie "Wirtschaftliche Bedeutung regionaler Automobilnetzwerke in Deutschland."
Studie zeigt 40 besonders betroffene Regionen
Die IW-Studie hat 40 Regionen in Deutschland ausgemacht, in denen die Transformation hin zur E-Mobilität und dem autonomen Fahren mit massiven Veränderungen im Arbeitsleben der Menschen einhergehen wird.
In Bayern zählen dazu die Gegenden um Schweinfurt und Bamberg, wo sich große Zulieferbetriebe angesiedelt haben. Mehr als jeder zehnte Arbeitende dort baut Teile für den Verbrenner. Allein beim großen Zulieferer ZF in Schweinfurt sind es 5.000 (von 10.000 Mitarbeitenden insgesamt).
Das sagt Wirtschaftsexperte Kempermann. "Da geht es nicht nur um Arbeitsplätze, sondern um Investitionen in die Infrastruktur, oder die Kulturförderung vor Ort."
Die Unternehmen seien ein Teil des öffentlichen Lebens. Wenn sie ihre Standorte schließen oder verkleinern, was dann?
Milliarden in Chancenfeldern
Zum Glück belässt es die IW-Studie nicht bei Kassandra-Rufen. Definiert werden auch drei so genannte "Chancenfelder":
- Elektrifizierung
- Automatisierung
- Vernetzung.
"Hier erwarten wir in den kommenden Jahren Investitionen von 139 Milliarden Euro", so Kempermann.
Die IAA dieses Jahr lässt keine Zweifel: Das Zeitalter der E-Mobilität schreitet mit großen Schritten voran. Für die 44.000 Mitarbeiter der Autozulieferer im Saarland ein Grund zur Sorge. Der Branche bleiben wenige Jahre, um sich neu aufzustellen.
Einen Teil davon nimmt beispielsweise die Rosenberger-Gruppe aus dem oberbayerischen Tittmoning in die Hand. Der Autozulieferer, der seit Jahrzehnten hier produziert, hat sich mittlerweile ganz auf die Bordelektronik für E- und autonome Fahrzeuge spezialisiert und allein in diesem Jahr 300 neue Leute angestellt. Der Bürgermeister von Tittmoning, Andreas Bratzdrum, ist sich sicher: "Ohne Rosenberger sähe unsere Gemeinde ganz anders aus."
Alexander Poel ist Korrespondent im ZDF-Landesstudio Bayern in München.
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