Große Abhängigkeit:Bayern will von russischem Gas wegkommen
von Alexander Poel
02.08.2022 | 21:49
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Bayerns Abhängigkeit von Russland ist historisch gewachsen, aber auch das Ergebnis politischer Schwäche. Die Industrie blickt mit gemischten Gefühlen auf den kommenden Winter.
Das Gaskraftwerk Franken I in Nürnberg
Quelle: imago images/Harry Koerber
"Das Fracking von vor zehn Jahren ist nicht das Fracking von heute." Florian Herrmann, der Leiter der bayerischen Staatskanzlei, versucht, dem Vorstoß seines Chefs, Markus Söder, einen "Alles-oder-Nichts"-Ansatz zu verpassen. Der hatte mit seiner Forderung an Niedersachsen, "neue Methoden des Fracking zu erkunden", einen veritablen Nord-Süd-Streit ausgelöst.
"Tatsache ist, dass wir von der Abhängigkeit von russischem Gas wegkommen müssen."
Florian Herrmann, Leiter der bayerischen Staatskanzlei
Bayerns Industrie braucht Erdgas
Wie groß diese Abhängigkeit ist, zeigt ein direkter Ländervergleich: Nach Angaben des Statistischen Bundesamts führte Bayern als wirtschaftlich zweitstärkstes Bundesland im vergangenen Jahr über 22 Millionen Tonnen Erdöl und Erdgas aus Russland ein. Nordrhein-Westfalen dagegen, das Land mit dem größten Bruttoinlandsprodukt, benötigte gerade einmal vier Millionen Tonnen.
In Bayern ist es vor allem die Industrie, die Erdgas einsetzt. Beispiel Chemieindustrie: Für das Jahr 2020 beziffert das Statistische Landesamt ihren Verbrauch mit 26.364 Terrajoule. Das entspricht dem Bedarf von rund zwei Millionen Vier-Personen-Haushalten.
Proteste gegen "Monstertrassen"
"Die Abhängigkeit Bayerns ist historisch gewachsen", konstatiert Mathias Mier, Energieexperte beim Münchner ifo-Institut. "Es gibt hier keine großen Braun- und Steinkohlevorkommen, daher waren immer die Atomkraft oder das Erdgas die Energieträger der Wahl." Und so habe auch Bayern zu sorglos auf das Modell "billige Energie aus Russland" gesetzt, so Mier.
Bayern hat sich lange auf billiges Gas und Atomenergie verlassen.
Quelle: dpa
Sorglos und populistisch. Frühjahr 2014: In Bayern sind viele Menschen wütend. Sie haben Transparente gebastelt, auf denen ein Wort steht, dass die bayerische Energiedebatte über Jahre mit prägen wird: "Monstertrassen". Gemeint sind Überlandleitungen, mit denen unter anderem Windstrom aus dem Norden in den Süden transportiert werden soll.
Die Anwohner sorgen sich um das regionale Landschaftsbild, der damalige Ministerpräsident, Horst Seehofer, sorgt sich um die regionalen Wählerstimmen. Er werde "alle Register ziehen" sagt Seehofer, um die Leitung zu verhindern. Und genau das ist es, was Bayern tut.
"Die politische Verzögerung des Trassenbaus spielt beim Thema Abhängigkeit natürlich eine Rolle."
Mathias Mier, Energieexperte am ifo-Institut
Staatsregierung warnt vor Blackout
Heute warnt die Staatsregierung vor einem Blackout. "Selbst wenn die Gasspeicher den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestfüllstand erreichen, wissen wir, dass wir im Frühjahr wieder leer sein werden", gibt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zu bedenken.
Die Resonanz aus der bayerischen Wirtschaft fällt unterschiedlich aus. So bereitet sich BMW nach eigenen Angaben "aktiv auf einen Gasmangel vor" und hat dazu an "allen Produktionsstandorten Einsparpotentiale ausgemacht." Deutschlands größter Halbleiter-Hersteller, infineon, erklärt, man könne zwar auf Gas nicht verzichten, habe aber "nur einen moderaten Gesamtbedarf. Und Bayerns Chemieriese Wacker (MDax) teilt auf Anfrage mit: "Einschränkungen in der Gasversorgung gibt es nicht und sie sind auch derzeit nicht in Sicht." Also alles in Butter? Mitnichten.
Viele Betriebe in Gefahr
Um ihre Existenz fürchten vor allem kleine und mittelständische Betriebe, etwa aus der Papier- oder Glasindustrie, die Gas zum Erhitzen ihrer Öfen benötigen.
"Sie können einen Schmelzofen nicht einfach abstellen. Das Glas ist dann hinüber."
Hubert Aiwanger, bayerischer Wirtschaftsminister (CSU)
Das hätte Auswirkungen auf ganz viele Bereiche. "Von der medizinischen Glasampulle bis zur Getränkeflasche", betont Bayerns IHK-Chef Klaus-Josef Lutz in einem Zeitungsinterview. "Wenn Putin den Gashahn abdreht, wird das unsere Wirtschaft ins Mark treffen!"
Alexander Poel ist ZDF-Reporter in München.
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