Nordrhein-Westfalen ist das wirtschaftlich am engsten mit Großbritannienverwobene Bundesland. Der Export aus NRW auf die Insel ist zwar eingebrochen, aber es gibt auch Gewinner.
Tilo Weiss ist, so sagt er, "jeden einzelnen Tag froh", dass seine Firma, die eigentlich bei Oxford sitzt, seit nunmehr drei Jahren ein Standbein in Düsseldorf hat. JSP Safety Products macht Sicherheitshelme, Schutzbrillen, Hörschutz - ein Rundum-Sortiment im Bereich Arbeitsschutz.
Viele Kunden sitzen im europäischen Binnenmarkt; nun kann man auch weiterhin problemlos an sie verkaufen. Lästige und komplizierte Zollformalitäten und Kontrollen von EU-Normen und Sicherheitsstandards entfallen, weil zum Beispiel der Kunde aus Spanien nicht mehr in Großbritannien bestellt, sondern bei JSP in Deutschland, also im EU-Binnenmarkt.
Kurz vor dem Ende der der Brexit-Übergangsfrist hatte Corona die Lage in Großbritannien nochmals verschärft.
"Spass macht das nicht"
Weiss ist bestens vorbereitet, schon seit mehreren Jahren kümmert sich JSP Safety auf allen Ebenen um das Thema Brexit. Von anderen Firmen, vor allem auf der britischen Seite, hört er derzeit nichts Gutes. Die Briten hätten wohl erwartet, dass die EU-Firmen und Behörden sich im alltäglichen Warenaustausch flexibler zeigen würden.
Doch nun merkten sie, dass sie - sozusagen knallhart - als Drittland behandelt werden. "Man bekommt alles hin", so beobachtet Weiss, aber:
Handelsabkommen verändert grundlegend das tägliche Geschäft
Felix Neugart, Geschäftsführer von NRW.Global Business hat ähnliche Beobachtungen gemacht. So ist der Export von NRW-Firmen nach Großbritannien um circa 19 Prozent gesunken, schon innerhalb der vergangenen vier Jahre, also seit dem Referendum 2016.
Die Auswirkungen des Brexits zeigen sich also schon seit Jahren, dabei verändert sich erst jetzt mit dem Handelsabkommen das tägliche Geschäft zwischen der EU und Großbritannien das erste Mal grundlegend. Zollerklärungen im Warenverkehr, Gesundheitschecks für landwirtschaftliche Produkte und andere Formalitäten machen das Geschäft komplizierter und damit teurer.
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In NRW sind 3.000 Arbeitsplätze entstanden
Neugart und seine Agentur wollen Abhilfe schaffen und beraten Firmen, die einen Standort in NRW suchen. Traditionell hat Nordrhein-Westfalen die engste wirtschaftliche Anbindung aller deutschen Länder an Großbritannien. "Wir bieten vollen Service“, sagt Neugart. Heißt: seine Agentur berät britische Firmen bei Standortauswahl, Visa, Anmietungen etc.
142 Unternehmen aus allen Branchen haben sich seit 2016 schon in NRW angesiedelt. 3.000 Arbeitsplätze sind entstanden. Der riesige Absatzmarkt und eine hervorragende Logistik und zentrale Lage machen das Bundesland im Westen sehr attraktiv.
Hoher Beratungsbedarf
"Die Telefone glühen und die Postfächer laufen voll", so fasst Ralf Schlindwein, Geschäftsführer International der IHK Düsseldorf die Lage zusammen. Seine Mitarbeiter beraten deutsche Firmen vor allem beim Export, meist geht es um Fragen zu Grenzformalitäten:
Hinzu kommt, dass die Fragen rund um die Reisen und Aufenthalte von Personen im Moment wegen Corona kaum zum Tragen kommen. Auch da erwartet die Handelskammer bei Wiederaufnahme der Reisetätigkeiten noch viel Beratungsbedarf.
Abwärtstrend wird sich verfestigen
Endgültig verfestigen wird sich die Lage im Juli. Ab dann soll nach der jetzigen Übergangszeit auch von britischer Seite aus alles streng kontrolliert werden. Der britische Markt jedenfalls hat für die Wirtschaft in NRW und ganz Deutschland extrem an Bedeutung verloren. Absturz von Rang 4 auf Rang 8 des wichtigsten Handelspartners. Und dieser Trend wird wohl anhalten.
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