Epidemiologen warnen davor, die Homeoffice-Pflicht vorzeitig abzuschaffen. Dabei hatte die Regelung bisher offenbar nur wenig Auswirkungen auf die Homeoffice-Quote insgesamt.
Die Stimmen, die ein Ende der Homeoffice-Pflicht fordern, werden immer lauter. Arbeitgeberverbände wollen den Schritt bis Ende Juni, manche sogar noch früher. Wirtschaftsminister Peter Altmaier kündigte bereits "Schritt für Schritt weniger Vorschriften" zum Homeoffice an.
Der FDP kann's nicht schnell genug gehen: "Regeln müssen immer den veränderten Umständen angepasst werden", sagte Generalsekretär Volker Wissing im ZDF-Morgenmagazin angesichts sinkender Infektionszahlen und plädiert für ein vorzeitiges Ende der Homeoffice-Pflicht, noch vor dem 30. Juni. Dann würde die derzeit gültige Arbeitsschutzverordnung regulär sowieso auslaufen.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz lehnt solche Forderungen kategorisch ab und beharrt darauf: Arbeit im Homeoffice bis Ende Juni soll die Regel bleiben.
Epidemiologen raten: Homeoffice-Pflicht zunächst beibehalten
Doch was sagen Experten? Besteht die Gefahr vermehrter Corona-Infektionen, wenn die Homeoffice-Pflicht zu früh fällt? Denn grundsätzlich ist Homeoffice eine der effektivsten Maßnahmen, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Das haben bereits mehrere Studien belegt, unter anderem Forschungsarbeiten der Universität Mannheim oder der Universität Konstanz.
"Wir haben gerade ganz viele Öffnungen auf einmal. Noch geht alles gut. Wir sollten aber nicht riskieren, dass die Zahlen doch noch mal steigen", sagt beispielsweise der Berliner Infektionsepidemiologe Timo Ulrichs im Gespräch mit ZDFheute.
Die Homeoffice-Pflicht aufzugeben, wäre "wie ein weiterer Öffnungsschritt", so Ulrichs. Der sollte besser erst später kommen, weil vorher auch noch weitere Öffnungsschritte angedacht seien, zum Beispiel bei den Schulen.
Homeoffice als Bremse für Infektionszahlen
Ähnlich sieht es auch Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie: Aktuell nehme durch die Lockerungen die Mobilität und damit die Kontaktrate der Bevölkerung rasant zu. "Die Homeoffice-Pflicht wirkt in gewissem Maße noch als Bremse, insofern erscheint es mir sinnvoll, diese zunächst noch beizubehalten, bis wir sicher sind, dass die Infektionszahlen auf niedrigem Niveau bleiben."
Auch Elke Ahlers vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung warnt im Gespräch mit ZDFheute vor einem vorzeitigen Ausstieg aus der Homeoffice-Pflicht.
Umfrage: Mehrzahl der Beschäftigten ungeimpft
Aus WSI-Befragungen in der zweiten Maihälfte sehe man, dass 65 Prozent der Beschäftigten überhaupt keinen Impfschutz hätten. 28 Prozent hätten lediglich die erste Impfung erhalten, nur acht Prozent der Beschäftigten seien vollständig geimpft.
"Aus diesem Grund sollte die Homeoffice-Pflicht wie geplant bis Ende Juni 2021 Bestand haben", so Ahlers.
ifo-Institut: Homeoffice-Anteil seit Monaten unverändert - trotz Pflicht
Fraglich ist jedoch, wie viel sich tatsächlich ändert, wenn die gesetzliche Pflicht zum Homeoffice wegfällt: Nach Zahlen des ifo-Instituts hat sich der Anteil der Beschäftigten, die mindestens teilweise im Homeoffice arbeiten, seit Monaten kaum verändert. "Seit Februar beobachten wir praktisch eine gleichbleibende Homeoffice-Quote, trotz der eingeführten Pflicht", sagt Jean-Victor Alipour, Homeoffice-Experte beim ifo-Institut im Gespräch mit ZDFheute.
In mehreren Umfragen habe man sogar gesehen, dass im Frühjahr 2020 mehr Menschen im Homeoffice gearbeitet haben als jetzt. "Das Potential scheint also nicht ausgeschöpft zu sein und die Pflicht scheint nicht viel zur Gesamtquote beigetragen zu haben", erklärt Alipour.
"Vielmehr dürften Beschäftigte mit dem abklingenden Infektionsgeschehen und aufgrund des Impffortschritts wieder zur Präsenzarbeit zurückkehren", so Alipour.
- Altmaier stellt Lockerungen in Aussicht
Wirtschaftsminister Altmaier kündigt "Schritt für Schritt weniger Vorschriften" zum Homeoffice an - und erntet neben Zustimmung auch heftige Kritik für diesen Vorstoß.