Die Reichsten helfen den Ärmsten: Im ZDFheute-Interview befürwortet Armutsforscher Butterwegge gezieltere Corona-Staatshilfen. Er fordert einen "Corona-Solidaritätszuschlag".
ZDFheute: Die Bundesregierung verspricht mit einem weiteren milliardenschweren Konjunkturprogramm einen "Aufschwung für alle". Kann Sie dieses Versprechen einlösen?
Christoph Butterwegge: Nein, das Konjunkturpaket der Großen Koalition weist genau wie alle bisherigen Schutzmaßnahmen des Staates eine verteilungspolitische Schieflage auf. Finanzschwache werden entweder gar nicht oder nur am Rande bedacht - im Gegensatz zu vielen Unternehmen, darunter auch kapitalstarke Konzerne, die von der Neuverschuldung des Staates profitieren.
130 Milliarden. Wumms. Der Staat nimmt eine nimmt eine gewaltige Summe Geld in die Hand , um den Corona-Schock abzufedern. Proteste gegen das Konjunkturpaket sind eher moderat. Auch aus der Opposition kommt Zuspruch.
ZDFheute: Wer wird aus Ihrer Sicht zu wenig bedacht?
Butterwegge: Ich denke da besonders an Obdach- und Wohnungslose, an Geflüchtete, an Pflegebedürftige, Geringverdiener, Menschen mit kleinen Renten und an die Transferleistungsbezieher. Mein Vorschlag ist, dass es für die letzteren einen Ernährungszuschlag von monatlich 100 Euro gibt.
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ZDFheute: Weshalb halten Sie diesen Zuschlag für nötig?
Butterwegge: Alleinstehenden Hartz-IV-Beziehern werden für Lebensmittel monatlich 150 Euro zugebilligt. Davon kann niemand gesund leben. Und noch immer sind viele Tafeln geschlossen. Außerdem sind die Lebensmittelpreise teilweise erheblich gestiegen. Die erhöhten Kosten werden nicht ausgeglichen - auch nicht durch den beschlossenen Kinderbonus von einmalig 300 Euro. Besonders Bedürftige kommen damit in der Krise nicht über die Runden.
ZDFheute: Der Staat hat bereits viele Milliarden Euro an Hilfen ausgegeben; die Bundesregierung noch mehr zugesagt. Aus der gesamten Gesellschaft gehen weitere Forderungen ein. Wie soll das refinanziert werden?
Butterwegge: Ich schlage vor, über eine Vermögensabgabe nachzudenken, aber sofort einen Corona-Solidaritätszuschlag einzuführen. Das heißt: Man sollte den bestehenden "Soli" weder zum 1. Januar 2021 teilweise noch erst recht ganz abschaffen, sondern ihn umwidmen. Der Soli hat dem Staat im vergangenen Jahr immerhin 19 Milliarden Euro eingebracht. Mit einem Corona-Soli könnten Wohlhabende, Reiche und Hyperreiche, wie ich sie nenne, den ärmsten Gesellschaftsmitgliedern solidarisch zur Seite stehen.
ZDFheute: Das Thema Solidaritätszuschlag scheint die Politik aber abgehakt zu haben …
Butterwegge: … CSU, FDP und AfD, aber auch Politiker der CDU sind weiterhin für eine Soli-Komplettabschaffung. Dabei gibt der Staat gerade mehr als 1,4 Billionen Euro an Finanzhilfen, Krediten und Bürgschaften aus. Da müssen Hochvermögende und Konzerne nicht steuerlich entlastet, sondern stärker zur Kasse gebeten werden. Den Soli abzuschaffen würde bedeuten, dass etwa ein Friedrich Merz als Einkommensmillionär im Jahr um mindestens 24.000 Euro entlastet würde - oder eine gewinnstarke Allianz-Versicherung sogar um einen dreistelligen Millionenbetrag, weil der Soli auf ihre Körperschaftsteuer aufgeschlagen wird. Das Geld kann der Staat in der Corona-Krise wahrlich sinnvoller verwenden.
Damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht, bekommen Firmen finanzielle Unterstützung vom Staat. Firmen wie BMW empfangen diese Hilfe, verteilen aber auch Dividenden an ihre Aktionäre.
ZDFheute: Merz und die Allianz dürfte Ihr Vorschlag nicht gerade erfreuen.
Butterwegge: Nein, gewiss nicht. Aber er wäre ein fairer Beitrag zum Lastenausgleich. Oder schauen Sie: BMW bekommt die Lohnkosten samt Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung über das Kurzarbeitergeld vom Staat finanziert, hat aber im Mai nicht weniger als 1,64 Milliarden Euro an Dividende gezahlt. Davon erhielten die Geschwister Susanne Klatten und Stefan Quandt, denen fast die Hälfte von BMW gehört, 769 Millionen Euro. Dass ein vom Staat unterstützter Konzern den Großaktionären mitten in dieser Krise solche Summen zukommen lässt, finde ich skandalös. Andere Staaten wie Frankreich machen es den Unternehmen zur Auflage, keine Gewinne auszuschütten. Stattdessen müsste die Bundesregierung stärker Menschen unterstützen, deren materielle Existenz gefährdet ist.
Das Interview führte Marcel Burkhardt.
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