Verändert sich durch die Corona-Krise unser Wirtschaftssystem? Philosophin Lisa Herzog benennt im ZDFheute-Interview die Schwachstellen. Und zeigt, wie der Staat agieren könnte.
Philosophin und Volkswirtschaftlerin Lisa Herzog sagt: Gerade während der Corona-Krise zeigen sich die Schwachstellen unseres Wirtschaftssystems.
In der Corona-Krise scheint es, als verkehrten sich in unserem gewohnten System die Verhältnisse um: Einfach bezahlte Berufe in der Pflege oder im Supermarkt bekommen fast einen Heldenstatus. Top-Jobs zum Beispiel im Konzern-Management wiederum erscheinen nahezu belanglos.
Drehen sich die Machtverhältnisse in unserem Wirtschaftssystem um?
Lisa Herzog gehört derzeit zu den gefragtesten Wissenschaftlerinnen, die sich mit ökonomischer Gerechtigkeit befassen.
Herzog ist Philosophie-Professorin am Centre for Philosophy, Politics and Economics der Universität Groningen in den Niederlanden. Zuletzt erschien ihr Buch "Die Rettung der Arbeit - Ein politischer Aufruf".
ZDFheute: Frau Herzog, Geringverdiener werden härter von der Corona-Krise getroffen als Besserverdiener. Was sagt das über unser Wirtschaftssystem aus?
Lisa Herzog: Wir hatten ja über lange Zeit den Deal: Wir lassen den Markt irgendwie laufen und bilden ein gewisses Auffangnetz für die am unteren Ende. Dabei wurden aber die Schutzmechanismen immer weiter ausgehöhlt, durch Globalisierung oder Digitalisierung.
Wenn zum Beispiel das Putzpersonal in einer Firma ausgegliedert wird, ist die Behandlung anders als bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die in die Firma integriert sind.
Und es kommt jetzt in dieser Krise voll und ganz zum Ausdruck, dass diejenigen Länder, die in diesem Erosionsprozess noch weiter fortgeschritten sind, wie etwa die USA und Großbritannien, auch noch härter von der Corona-Krise betroffen sind.
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ZDFheute: Unternehmen, die bislang auf "die unsichtbare Hand des Marktes" schworen, rufen jetzt nach staatlicher Unterstützung. Ist also das Streben nach Gewinnmaximierung und Shareholder Value nicht ausreichend krisenfest?
Herzog: Der Neoliberalismus geht immer davon aus, dass das Individuum ein rationaler, erwachsener, alleine handelnder Akteur ist. Körperliche Bedürfnisse und menschliche Faktoren wie beispielsweise familiäre Bindungen kommen nicht vor. Aber jetzt gerade in der Corona-Krise werden diese Dinge enorm wichtig und legen diesen blinden Fleck im Denken des Neoliberalismus offen.
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ZDFheute: Sie wollen mehr Demokratie bei der Arbeit. Könnte der Weg aus der Corona-Krise heraus in diese Richtung führen?
Herzog: Wir sehen ja, dass die Corona-Krise Geringverdiener stärker trifft als Besserverdiener. Mir geht es nicht nur um eine höhere Bezahlung, sondern auch darum, dass diejenigen, die die Arbeit machen, mehr demokratische Mitspracherechte bekommen.
Ein mögliches Beispiel sind etwa Genossenschaftsmodelle, bei denen Mitarbeiter auch die Eigentümer der Firma sind. Wir brauchen mehr Experimente, was alles machbar ist.
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ZDFheute: Was könnte der Staat noch machen?
Herzog: Wir kennen ja im Finanzwesen den Gedanken der Zentralbank als "lender of last resort", also als Geldgeber der letzten Instanz. Und es gibt den bestechenden Vorschlag, dass der Staat als Arbeitgeber der letzten Instanz auftreten sollte. Das heißt:
Es geht um Freiwilligkeit, nicht um Arbeitszwang. Das Entgelt sollte eine Mindestsicherung sein, die höher als Hartz IV ist. Damit könnte Arbeitslosigkeit bei vielen Menschen ihren Schrecken verlieren.
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Herzog: Eine zentrale Dimension - neben der Demokratisierung - ist Nachhaltigkeit. Wie können wir menschliche Arbeit mit den Nachhaltigkeitszielen vereinbaren? Seit Jahrzehnten erleben wir die Tendenz, Arbeit einzusparen durch technologischen Fortschritt.
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Aber dieser ist, wie wir sehen, oft sehr energieintensiv. Wir brauchen also in unserer Arbeitswelt eine Art ökologischen Imperativ, um bei Technikeinsatz gleich die Umweltfolgen mitzudenken. Das könnte der Abwägung "Maschine oder Mensch" eine ganz neue Ausrichtung ergeben.
Das Interview führte Eva Schmidt, Redakteurin und Moderatorin beim 3sat-Wirtschaftsmagazin makro.
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