Sollen deutsche Firmen Strafe zahlen, wenn Zulieferbetriebe irgendwo auf der Welt keine Mindestlöhne zahlen oder Menschenrechte mit Füßen treten? Union und SPD streiten erbittert.
Gemüse für Deutschland
Wenn die Abgeordneten des deutschen Bundestages heute ihre Postfächer leeren, finden sie darin ein Brief des Bundesverbands der Deutschen Industrie. "Die Achtung von Menschenrechten in globalen Lieferketten ist für die deutsche Wirtschaft selbstverständlich", lobt die Unternehmerlobby die von ihr vertretenen Unternehmen. Dann folgt eine Warnung.
Würde der Bundestag in den kommenden Tagen das geplante Lieferkettengesetz ohne weitere Änderungen verabschieden, könne das "im Ergebnis sogar eine Verschlechterung des Menschenrechtsschutzes vor Ort bewirken" und zudem auch Arbeitsplätze in Deutschland gefährden.
Arbeitsminister Heil: Lieferkettengesetz "hat Zähne und wird auch wirken"
Erst im Februar hatten sich Bundesarbeitsministerium, Wirtschaftsministerium und Entwicklungsministerium grundsätzlich geeinigt, deutsche Firmen stärker in die Pflicht zu nehmen. In Zukunft sollen sie mehr als bisher dafür Sorge tragen, dass auch in Zulieferbetrieben Menschenrechte eingehalten, Arbeits- und Umweltschutz beachtet und Arbeitnehmer nicht ausgebeutet werden.
Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD verkündete: "Wer in einer globalisierten Gesellschaft Gewinne macht, muss auch global Verantwortung für Menschenrechte tragen." Und nicht ohne Stolz legte er nach: "Das Gesetz hat Zähne und es wird auch wirken."
Doch die Union will dem Gesetz die Zähne ziehen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier, CDU und seine Partei wehren sich dagegen, dass Unternehmen Strafen zahlen sollen, wenn deren Zulieferer irgendwo auf der Welt Lohndumping betreiben. "Natürlich ist es mir als Wirtschaftsminister auch wichtig, dass die deutsche Wirtschaft am Ende stärker und nicht schwächer dasteht", kommentierte Altmaier den Gesetzesentwurf.
Das Video zeigt, wie Lieferketten funktionieren.
Gemüse für Deutschland - Ausbeutung in Spanien
Dabei zeigen Recherchen in steter Regelmäßigkeit, wie deutsche Unternehmen von Ausbeutung und Unrecht ausländischer Zulieferer profitieren.
Reporter von Frontal21 sind Anfang März unterwegs in Südspanien, hier wird von Brokkoli bis Paprika, von Kopfsalat bis Tomaten alles Erdenkliche produziert, was an deutschen Gemüsetheken verkauft wird. Wenige Kilometer von der Küstenautobahn entfernt liegt der Slum Atochares. Hier leben Tausende Migranten in selbstgebauten Zelten und Hütten. Die meisten von ihnen illegal, sie stammen aus Afrika.
Abu aus Ghana arbeitet seit drei Jahren als Erntehelfer für einen Stundenlohn von 4,50 Euro. Eine Sozialversicherung hat er nicht, auch keinen Arbeitsvertrag:
Tod eines Erntehelfers - Schuften bis zum Umfallen
Wer hier lebt, kennt die Geschichte eines Erntehelfers aus Nicaragua, der bei brütender Hitze Wassermelonen pflücken musste: Eleazar Blandón. Im August 2020 erlitt er einen Hitzschlag und starb.
Wir treffen die Schwester des Toten, Anna Blandón. Gemeinsam fahren wir zur Plantage, auf der ihr Bruder arbeitete. Heute wächst dort Kopfsalat. Ihr Bruder habe immer wieder erzählt, unter welchen Schikanen er arbeiten musste. Als er Früchte und Gemüse gepflückt habe, seien Vorarbeiter gekommen und hätten ihm Staub ins Gesicht getreten.
Er habe gesagt, "Ana, ich strenge mich so an, so viele Wassermelonen wie möglich zu pflücken."
Oft habe er zu hören bekommen: "Du bist ein Nichtsnutz, du bist zu langsam, du bist ein Esel. Selbst wenn du dich totarbeitest und völlig erschöpft nach Hause kommst, nie hast du deinen Job gut gemacht."
Frontal21-Interview-Anfrage abgelehnt
Der Gemüseproduzent, auf dessen Feldern Erntehelfer Blandón zusammengebrochen ist, besitzt mehrere Firmen. Sie exportieren auch nach Deutschland. Wir rufen ihn an, wollen ihn treffen. Kein Problem, wir sollten einfach zurück zur Plantage kommen, heißt es am Telefon.
Wir fahren also zurück zum Feld, doch der Unternehmer taucht nicht auf. Wir telefonieren noch einmal mit der Firma an, fragen nach den Wassermelonen, dem toten Erntehelfer aus Nicaragua und Verantwortung. Diesmal heißt es: Kein Interview. Später teilt man uns schriftlich mit: "Wir möchten in keiner TV-Sendung erscheinen. Mit freundlichen Grüßen."
Ángel Torregrosa, Regionalchef der Arbeitergewerkschaft, kennt den Fall.
Die Produzenten kümmere das wenig. Die hätten schlicht ihren Profit im Blick, meint Torregrosa . Der Gewerkschafter berichtet von weiteren Fällen. Rassistische Beleidigungen seien vor allem in kleinen Unternehmen Alltag. Dazu kämen sexuelle Übergriffe.
"Die Chefs missbrauchen ihre Macht. Wir haben viele Fälle zur Anzeige gebracht." In einem aktuellen Fall seien Hungerlöhne bezahlt worden. Torregrosa zeigt uns eine Strafanzeige. Offiziell müssten die Gemüsefirmen einen Mindestlohn von 7,32 pro Stunde zahlen.
Die Erntehelfer hätten von Montag bis Sonntag arbeiten müssen. "Die Firmen haben keine Skrupel."
Deutsche Händler - SPD will mehr Verantwortung
Obst und Gemüse unter miserablen Bedingungen in Spanien geerntet, verkauft in Deutschland. Wir fragen nach bei den großen deutschen Lebensmittel-Händlern. Kaum einer will sich konkret zu unseren Recherchen äußern. Nur Aldi Süd teilt schließlich mit, das Unternehmen werde die geschilderten Verstöße untersuchen.
In Recklinghausen treffen wir Frank Schwabe, den menschenrechtspolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag und zeigen ihm unsere Aufnahmen. "Absolut inakzeptabel, unhaltbare Zustände", ist seine erste Reaktion.
Doch an der Gemüsetheke wird sich nicht entscheiden, ob sich etwas ändert. Das hat die Vergangenheit bewiesen. Fairtrade Produkte sind weiter Nischenware. Und an das geplante neue Lieferkettengesetz mag SPD-Mann Schwabe nicht recht glauben.
"Die ursprüngliche Idee, die die SPD hatte, war, dass alle Vorprodukte unter sorgfältigen Standards eben produziert werden müssen." Und da habe "die Union eine Verwässerung reingebracht, sodass für mich heute nicht genau klar ist, ob das Gesetz ausreichen würde, um solche Zustände jedenfalls zu verhindern."
BDI fordert "keine zivilrechtliche Haftung für deutsche Unternehmen"
Der Brief des BDI an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages ist zehn Seiten lang. Er fordert: "keine zivilrechtliche Haftung für deutsche Unternehmen durch die Hintertür", keine Pflicht der Unternehmen "sich selbst und ihre Zulieferer zu belasten" und "keine Benachteiligung des Wirtschaftsstandortes Deutschland". Auch Schwabe hat den Brief bekommen.
Während hierzulande der Streit um das neue Gesetz weiter geht, wird in Spanien weiter geerntet. Und Ana Blandón kämpft mit der Trauer um den toten Bruder. Sie könne nachts nicht schlafen, erzählt sie uns.