EU-Kommission rechnet mit Rekord-Inflation von 7,6 Prozent
Sommer-Konjunkturprognose:EU-Kommission rechnet mit Rekord-Inflation
14.07.2022 | 14:57
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Angesichts der hohen Energiepreise rechnet die EU-Kommission bei der Inflation im Euro-Raum in diesem Jahr mit einem historischen Höchstwert.
Quelle: dpa
Die europäische Wirtschaft ächzt unter den Folgen des Kriegs in der Ukraine. Angesichts der hohen Energiepreise rechnet die EU-Kommission bei der Inflation im Euro-Raum in diesem Jahr mit einem historischen Höchstwert. Im Jahresdurchschnitt wird die Teuerung voraussichtlich 7,6 Prozent erreichen, wie aus der Sommer-Konjunkturprognose der Brüsseler Behörde hervorgeht.
Der Anstieg der Inflation wurde erneut durch die Energie- und Lebensmittelpreise verursacht.
Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni
Gentiloni zeigte sich bei der Präsentation der Ergebnisse in Brüssel grundsätzlich besorgt. Risiken, die bei der Prognose im Mai identifiziert wurden, seien teils real geworden - etwa Schocks wegen Ungewissheit am Energiemarkt und ein schwächeres Wachstum der Weltwirtschaft. "Man kann sagen, dass sich die europäische Wirtschaft von einer Phase des verlangsamten Wachstums hin zu einer Phase des Bremsens bewegt", sagte der italienische Politiker.
Inflation soll sich wieder halbieren
Bei ihrer Frühlingsprognose im Mai war die Kommission noch von 6,1 Prozent Inflation für die Euro-Länder ausgegangen. Das Wachstum wird demnach in diesem Jahr weitgehend stabil bleiben verglichen mit der letzten Prognose. Für das nächste Jahr korrigierte die Kommission ihre Vorhersagen jedoch deutlich nach unten.
In der gesamten EU wird in diesem Jahr eine Preissteigerung von 8,3 Prozent erwartet, statt 6,8 Prozent. Im kommenden Jahr soll sich die Inflation etwa halbieren, bei durchschnittlichen 4 Prozent im Euro-Raum und 4,6 in der EU.
Die EZB sieht sich mit einer sehr schwierigen konjunkturellen Gemengelage konfrontiert. Einerseits ist die Inflation im Euro-Raum inzwischen auf 8,6 Prozent nach oben geschnellt - und es sieht derzeit nicht danach aus, dass der Inflationsschub abebbt. Das zwingt die EZB zum Handeln, denn ihr Mandat ist Preisstabilität. Und stabile Preise sieht sie bei einer Rate von mittelfristig zwei Prozent als gesichert an. Aktuell liegt die Inflation somit mehr als viermal so hoch wie ihr Ziel.
Auf der anderen Seite schwächt sich angetrieben durch die hohe Inflation und die Folgen des Ukraine-Kriegs das Wachstum im Euro-Raum spürbar ab. Sollte es zu einem Gaslieferstopp aus Russland kommen, rechnet EZB-Vizepräsident Luis de Guindos sogar mit einer Rezession in Deutschland und in der Euro-Zone. Die EZB steht daher vor der schwierigen Gratwanderung, die Inflation wirksam einzudämmen, ohne aber gleichzeitig die Konjunktur im Euro-Raum abzuwürgen.
Die EZB-Währungshüter haben bereits ihre billionenschweren Nettokäufe von Staatsanleihen eingestellt - ein zentrales Element ihrer Krisenpolitik während der Corona-Krise und in den Jahren zuvor. Aktuell werden nur noch ablaufende Anleihen im Bestand wieder ersetzt.
Für die Zinssitzung am 21. Juli hat die EZB in Aussicht gestellt, alle drei Schlüsselzinsen - den Leitzins, den Einlagensatz und den Spitzenrefinanzierungssatz - um jeweils 0,25 Prozentpunkte anzuheben. Im September will sie die Zinsen erneut anheben und - wenn die Inflationsdaten zwischenzeitlich anhaltend hoch ausfallen - womöglich noch kräftiger.
Nach dem September plant sie die Zinsen weiter schrittweise, aber nachhaltig zu erhöhen. Negativzinsen sollen EZB-Präsidentin Christine Lagarde zufolge wahrscheinlich bis Ende September abgeschafft sein.
Kopfschmerzen bereitet der EZB bei ihrem komplizierten geldpolitischen Wendemanöver der Kursrutsch des Euro. Die Gemeinschaftswährung war zuletzt auf ein 20-Jahrestief gesunken. Zeitweise fiel der Kurs sogar unter die Parität zum Dollar.
Die EZB verfolgt zwar kein Wechselkursziel. Doch mit dem Kursrutsch des Euro verteuern sich die Importe, wie etwa von Energie und vielen Rohstoffen, die vielfach in Dollar abgerechnet werden. Dies schiebt die ohnehin schon massive Inflation weiter an.
Die angekündigte Zinswende und Beendigung der Anleihenkäufe hat bereits dazu geführt, dass die Staatsanleiherenditen deutlich gestiegen sind. Zeitweise war der Renditeabstand (Spread) zwischen den Staatsanleihen Deutschlands und denen höher verschuldeter südlicher Euro-Länder, insbesondere Italiens, auf den höchsten Stand seit über zwei Jahren geklettert. Dies bedeutet steigende Finanzierungskosten für diese Länder.
Der EZB-Rat kam deswegen sogar im Juni zu einer Sondersitzung zusammen. Im Hintergrund lauert die Angst vor einer neuen Euro-Schuldenkrise. Auch aus diesem Grund ist der Kurswechsel der EZB ein heikles Unterfangen.
Die EZB sieht insbesondere die Gefahr, dass durch exzessive Renditeausschläge die Übertragung ihrer geldpolitischen Schritte - sie nennt das "Transmission" - nicht mehr überall im Euro-Raum ankommt.
Um ein Auseinanderdriften der Euro-Zone inmitten steigender Leitzinsen zu verhindern will die EZB gegensteuern. Zum einen will sie die Reinvestition der Gelder aus fällig werdenden Anleihen aus ihrem Corona-Krisenprogramm PEPP flexibel nutzen, um gegen unerwünschte Renditeausschläge vorzugehen.
Zudem plant sie ein neues Instrument, um gezielt Anleihen stark verschuldeter Euro-Länder aufzukaufen. Das neue Instrument wirft allerdings viele rechtliche Fragen auf. Denn die EZB muss vermeiden, dass sie mit den Käufen ihr Mandat überschreitet.
Quelle: Reuters
Wirtschaftswachstum wird sich abschwächen
Beim Wirtschaftswachstum geht die EU-Kommission nach wie vor davon aus, dass die EU-Wirtschaft 2022 um 2,7 Prozent wachsen wird. Im Euro-Raum werden 2,6 Prozent Wachstum erwartet, eine leichte Anpassung verglichen mit den im Mai vorhergesagten 2,7 Prozent.
Für das nächste Jahr korrigierte die Kommission ihre Vorhersagen allerdings deutlich nach unten. Sie geht von 1,5 Prozent Wachstum in der gesamten EU und 1,4 Prozent im Euro-Raum aus. Im Mai sprachen die Ökonomen noch von 2,3 Prozent sowohl in der EU als auch in der Eurozone. Hintergrund ist unter anderem die Lage an den Energiemärkten.
Energie, Lebensmittel, Freizeit: In fast allen Bereichen sind die Kosten auch im Juni gestiegen. Doch 9-Euro-Ticket und Tankrabatt wirken dem Trend entgegen.
von Robert Meyer
Grafiken
Wirtschaftliche Lage abhängig von Ukraine-Krieg
Die Aussichten für die Wirtschaft hängen der EU-Kommission zufolge stark von der Entwicklung des Kriegs in der Ukraine und von der Energieversorgung ab.
Eine weitere Reduktion der Gas-Lieferungen würde die Preise weiter hochtreiben und den Druck einer Stagflation erhöhen.
Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni
Bei einer Stagflation schrumpft die Wirtschaft, obwohl die Preise steigen. Gentiloni sagte zudem, das Risiko eines Gas-Lieferstopps von Seiten Russlands sei nun kein hypothetisches Szenario mehr, und man müsse sich vorbereiten. Auch eine neue Pandemie-Welle könnte Auswirkungen für die Wirtschaft haben. "Ein Sturm ist möglich. Aber so weit sind wir noch nicht."