Der Leitzins im Euroraum bleibt bei null Prozent, trotz hoher Inflation lässt die EZB den Zeitpunkt für eine Zinsanhebung offen. Viele Ökonomen kritisieren das Vorgehen.
Die Inflation im Euroraum steigt und steigt. Doch Europas Währungshüter legen sich nach wie vor nicht auf einen konkreten Zeitpunkt für eine Zinsanhebung fest - Verbraucher und Sparer bleiben weiter im Unklaren. Viele Ökonomen halten das Vorgehen der Europäischen Zentralbank (EZB) für riskant und üben heftige Kritik.
Lagarde: "Die Reise hat begonnen"
Die Europäische Zentralbank würde ihre Geldpolitik normalisieren - "die Reise hat begonnen", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde. Ähnlich hatte sie sich auch schon in vorangegangenen Sitzungen geäußert. Lagarde nahm wegen einer Corona-Infektion online an der Pressekonferenz teil.
Nach der Pressekonferenz ist nur eines klar, und das war schon vorher bekannt: Die EZB hat sich schon vor Jahren darauf festgelegt, die Zinsen erst zu erhöhen, wenn sie kein frisches Geld mehr in Anleihen steckt. Das wäre in diesem Sommer der Fall. Wann die Zinsen aber wieder steigen, ließ die EZB offen.
Die Inflation in Deutschland ist mittlerweile auf einen Höchstwert von sieben Prozent gestiegen. Der Druck auf die EZB, eine Zinserhöhung durchzusetzen, ist hoch.
Scharfe Kritik an EZB-Entscheidung
Kritiker sehen in diesem Vorgehen fehlende Entschlossenheit und riskantes Abwarten. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sagte:
Auch der Deutsche Sparkassen- und Giroverband kritisiert die europäische Geldpolitik: "Die Inflation im Euroraum klettert in ungekannte Höhen, dem muss die EZB Einhalt gebieten", mahnte DSGV-Präsident Helmut Schleweis.
Bankenverband fordert Ende der Negativzinsen
Der Bankenverband BdB begrüßte die Aussicht auf ein Ende des milliardenschweren Anleihenkaufprogramms im dritten Quartal. "Das reicht allerdings noch nicht. Das Ende der Negativzinsen muss dieses Jahr kommen", sagte BdB-Hauptgeschäftsführer Christian Ossig.
Der massive Anstieg der Preise stellt viele Verbraucherinnen und Verbraucher vor Probleme. Besonders schwierig ist das für ärmere Haushalte und für Familien.
Der neue Bundesbankpräsident Joachim Nagel warnte jüngst vor einem Zögern vor der Leitzinserhöhung. "Die Inflationsdaten sprechen eine deutliche Sprache. Die Geldpolitik darf nicht die Gelegenheit verpassen, rechtzeitig gegenzusteuern."
Doch die EZB möchte sich wohl weiter alle Optionen offenhalten, obwohl die Realität die Preisstabilität durchaus gefährdet. Lagarde sagte:
Zinswende erst nach Ende der Anleihenkäufe
Der Inflationsdruck sei gestiegen, und die Inflation werde in den nächsten Monaten hoch bleiben. Im Euroraum erreichte die Teuerungsrate im März mit 7,5 Prozent den höchsten Stand seit Einführung des Euro als Verrechnungswährung 1999.
Denn für die Notenbank ist die Zinswende ein Balanceakt: Erhöht sie die Zinsen zu schnell oder zu kräftig, besteht die Gefahr, dass die Konjunktur abgewürgt wird. Reagieren die Währungshüter zu spät, müssten die Zinsen womöglich umso schneller oder höher steigen, da die Inflation bis dahin wohl keine Pause macht. Ein abrupter Zinsanstieg könnte die Wirtschaftsentwicklung ebenfalls belasten.
Die Hoffnung auf ein Ende der ultralockeren Geldpolitik ist groß. Nach dem Ende des Anleihekaufprogramms in diesem Sommer könnte es dann so weit sein. Die US-Notenbank hat schon vorgelegt, wenngleich die USA nicht so stark betroffen sind von der Abhängigkeit russischer Energie und dem Krieg in der Ukraine wie Europa.
- Was die EZB gegen hohe Inflation tun kann
Preise steigen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Europäische Zentralbank soll diese Inflation bekämpfen. Doch ein steigender Leitzins allein reicht in so einer Krise nicht.